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Error

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Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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sitzen. Ein erbärmlicher Zustand. Aber besser, als sie es verdiente. Sie hatte gerade ihren eigenen Onkel verraten. Er befand sich jetzt in der Gewalt von Männern, die ihn mit Sicherheit umbringen würden, sobald er ihnen nicht mehr von Nutzen war.
    Sokolow erlebte einen Augenblick irrationaler Angst, dass er niemals aufs Wasser auftreffen würde, aber er beherrschte den Impuls, nach unten zu schauen, denn das hätte nur dazu geführt, dass der Ozean ihm einen Schlag ins Gesicht verpasste. Er hätte sowieso nichts sehen können. Er hielt die Füße nach unten gestreckt und die Beine geschlossen, da er auch keinen Wasserschlageffekt auf seine Hoden wollte, dann plötzlich durchfuhr seine Beine ein Stoß, gefolgt von einem sengenden Rauschen, das sofort von einem tiefen, mechanischen Pochen ausgelöscht wurde: den Schrauben des Frachters, die sich unmittelbar hinter ihm drehten. Eine alte Gewohnheit sagte ihm, er solle zu schwimmen beginnen. Aber er steckte von den Knöcheln bis zum Hals in einem orangefarbenen Überlebensanzug, der allein an die Oberfläche fand. Sokolow wartete. Das eiskalte Wasser, von den Schiffsschrauben zu einem schäumenden Fluss aufgewühlt, überströmte ihn.
    Sein Kopf durchstieß die Oberfläche, und er atmete wieder. Um sich zu orientieren, trat er in dem sperrigen Anzug so gut es ging Wasser und drehte sich auf der Stelle, bis er das sich entfernende Heck des Frachters sah. Das Schiff war bereits beeindruckend weit weg.
    Er drehte den Kopf nach rechts und sah, was er schon vor ein paar Sekunden vom Hecküberhang aus gesehen hatte: messingfarbenes, von der Unterseite niedriger Wolken reflektiertes Licht. Die Lichter einer Stadt und vielleicht eines bevorstehenden Sonnenaufgangs. Etwa einen Kilometer entfernt schimmerten hellere, grellere Lichter auf einem Hang, einem aus dem Meer ragenden Steilufer, überzogen mit einem Teppich von Bäumen, aber auch dicht mit Häusern besetzt, dazu ein paar große, breite Straßen, die von den Logos von Einkaufszentren und Schnellrestaurants strahlten.
    Er peilte ein KFC -Leuchtschild an und begann zu schwimmen.
    Der Aplomb, mit dem der Bootsführer ihm vor zwei Wochen in jenen dunstigen Gewässern vor Kinmen geholfen hatte, die toten Männer von Bord seines Schiffes zu werfen, hatte Sokolow überzeugt, dass er hier jemanden vor sich hatte, mit dem er wirklich etwas anfangen konnte. Er hatte sich gefragt, wo »George Chow« diesen Mann aufgetrieben hatte, und allmählich die Hypothese entwickelt, dass es sich nicht um irgendeinen x-beliebigen, sozusagen auf der Straße herangewinkten Bootsführer handelte, sondern in Wirklichkeit um so etwas wie einen lokalen Strippenzieher, der diverse Besorgungen für das lokale Spionagegewerbe erledigte. Entweder das, oder er war ein klinischer Psychopath, vor dem sich Sokolow mehr fürchtete als vor jedem anderen, mit denen er an jenem Tag zu tun gehabt hatte.
    Im Frühstadium derartiger Projekte passierte es zuweilen, dass man sich vorkam, als ginge man bei Gegenwind einen Berg hinauf. Alles lief gegen einen; man hatte ständig Pech; nichts passte zusammen, nichts funktionierte richtig. Doch ab einem bestimmten Punkt änderte sich das, alles ging leicht, alles lief wie am Schnürchen. So auch hier. Er war Olivia losgeworden, eine zwar verführerische, aber das Leben hochgradig verkomplizierende Frau. Er war nicht mehr in der Volksrepublik China, nicht mehr im überfüllten Stadtzentrum von Xiamen, und er war noch dazu in dichten Nebel gehüllt und wurde von einem beherzten Bootsführer unterstützt, der, wenn er denn von den drei bewaffneten Agenten, die sein Boot mit Beschlag belegt hatten, beeindruckt oder in Angst versetzt worden war, dies umso mehr von der Art und Weise gewesen sein musste, wie Sokolow sich an Bord geschwungen und sie niedergemäht hatte. Seit er diesen Wendepunkt überschritten zu haben schien, hatte er sich eigentlich nicht mehr groß gewundert, als er nur ein Weilchen später über eine Strickleiter auf eine offene Luke am Heck eines großen Containerschiffs zugeklettert war. Mit der philippinischen Mannschaft war er sich mühelos einig geworden, und das restliche Bargeld in seiner Tasche hatte für die Überfahrt und sogar für eine eigene Koje gereicht. Die nächsten beiden Wochen waren so etwas wie ein Urlaub auf einem stählernen Strand und eine willkommene Gelegenheit gewesen, sich auszuruhen und diverse kleinere Verletzungen ausheilen zu lassen, die er sich während der Ereignisse in

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