Error
Sie lagerten keinen Trödel auf ihrer vorderen Veranda, und sie hatten vernünftige Sicherheitsmaßnahmen getroffen: die vorderen Fenster mit Streckmetallgittern versehen und stärkere Schlösser an der Eingangstür angebracht.
Igors Angst rief zunächst nur leichte Irritation bei Sokolow hervor, da ihr einziger Effekt darin bestand, alles zu verzögern. Aber er konnte dem Mann kaum vorwerfen, dass er vorsichtig war. Sokolow zog die Hände aus den Taschen und streckte sie, die Handflächen nach vorn, zur Seite. »Ein paar Stunden«, insistierte er, »und dann bin ich weg. Für immer.«
Seine Entscheidung, hierher zu kommen, war fragwürdig, um das Mindeste zu sagen. Er hatte während der ganzen Überfahrt darüber nachgedacht.
Er musste irgendwohin gehen und irgendetwas unternehmen. Seinen Lebensunterhalt verdienen konnte er sich eigentlich nur als das, was er war: Sicherheitsberater. Dass er nur Russisch fließend sprach und einen russischen Pass mit sich führte, setzte ihm gewisse Grenzen, was die Orte anging, wo er dieses Gewerbe ausüben konnte. Er konnte nach Russland zurückgehen, sich in die Wälder zurückziehen und den Rest seines Lebens Holz hacken und Wild jagen, aber er hatte sich ziemlich daran gewöhnt, in Großstädten zu leben, anständig bezahlt zu werden und für das, was er war und was er tat, respektiert (in Ermangelung eines besseren Wortes) zu werden. Die meisten seiner Kunden waren ganz anders gewesen als Iwanow, und hiernach würde er nie mehr für so jemanden arbeiten. Aber man würde die bedauerlichen Vorfälle der letzten Wochen den Besitzern des obschtschak erklären müssen, denen Iwanow das Geld gestohlen hatte, und den Familien der Männer, die von Abdallah Jones getötet worden waren. Und Sokolow war durchaus überzeugt, dass man das alles auch erklären konnte. Denn die Besitzer des obschtschak waren im Grunde vernünftige Leute. Mit Höflichkeit kam man bei ihnen weit. In dem, was mit Wallace und mit Iwanow passiert war, würden sie so etwas wie Poesie und so etwas wie Gerechtigkeit sehen. Iwanow hatte faktisch genau das Schicksal gefunden, das er gewollt hatte, insofern er bei dem Versuch gestorben war, das Geld wiederzubeschaffen. Die Geschichte eignete sich hervorragend als warnendes Beispiel: Seht her, was denen zustößt, die Geld stehlen, das ihnen anvertraut wurde. Es würde alles wunderbar klappen, wenn Sokolow denen, die Iwanow betrogen hatte, einfach nur die Geschichte erzählen konnte.
Nicht, dass Sokolow irgendeine Gewissheit hatte, dass man ihm verzeihen würde. Garantien gab es keine. Aber so hatte er eine anständige Chance. Wenn er dagegen herumschlich und ihnen aus dem Weg zu gehen versuchte, würden sie diesen Mangel an Höflichkeit ganz bestimmt zur Kenntnis nehmen und ihm in einer etwas argwöhnischeren Gemütsverfassung gegenübertreten.
Das alles hatte er schon während der ersten Hälfte seiner Fahrt über den Pazifik entschieden. Die Frage war somit, wie er es anstellen sollte, mit den betreffenden Leuten Kontakt aufzunehmen. Sie einfach von einem Münzfernsprecher am Strand aus anzurufen wäre indiskret und würde auf eine gewisse Verzweiflung schließen lassen.
Wenn er andererseits einen Bus nähme und geradewegs zu Igor führe, würde das einen durchaus vernünftigen Eindruck machen. Denn es war nicht die Handlungsweise eines verzweifelten Menschen. Jedenfalls nicht die eines Menschen, der etwas zu verbergen hatte, da damit zu rechnen war, dass Igor die Nachricht von Sokolows Eintreffen per Mundpropaganda verbreiten würde. Nein, das war eine gute, besonnene Art, denen, die Iwanow betrogen hatte, zu sagen: Ich habe überlebt, ich bin aus China herausgekommen, ich bin nicht auf der Flucht, ich habe nichts zu verbergen, ihr werdet von mir hören, sobald ich wieder Boden unter den Füßen habe.
In gewissem Sinne war das also ein Besuch um des Besuchs willen. Sokolow hatte immer noch genug Dollar in der Tasche, um ein Motelzimmer und eine Busfahrkarte bezahlen zu können. Er brauchte eigentlich überhaupt nichts von Igor.
Es war ein Höflichkeitsbesuch.
Und doch spürte Igor auf einer bestimmten Ebene, dass das keinen Sinn ergab. Und deshalb war er so besorgt. So argwöhnisch.
Immerhin erklärte er sich irgendwann bereit, Sokolow einzulassen. Es folgte eine entschieden hölzerne gegenseitige Begrüßung. Er, Wlad und Sokolow setzten sich schließlich an den Küchentisch, der mit russischsprachigen Zeitungen, halbvollen Kaffeebechern und schmutzigen
Weitere Kostenlose Bücher