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waren, nicht so oft fand. Hätte Zula grausam oder gehässig sein wollen, hätte sie diese bis in die Haarspitzen gepflegten Jungen mit übergroßen Föten verglichen, die ewig darauf warteten, geboren zu werden. Was angesichts der Tatsache, dass die Hochschulen gut mit fötalen Frauen eingedeckt waren, gar nicht weiter störte. Sie konnte jedoch, vielleicht wegen ihrer Vorgeschichte in Flüchtlingslagern und dem frühen Tod ihrer Adoptivmutter, für solche Männer kein Interesse aufbringen. Diese Eigenschaft, die sie an Peter gesehen hatte und jetzt an Csongor sah, war – sie schreckte vor dem Wort zurück, obwohl es ihr ziemlich sinnlos erschien, sich durch Schichten bewusster Ironie davon zu distanzieren – männlich. Sie ging mit Gutem und Schlechtem einher. Genau diese Eigenschaft sah Zula bei einigen der Männer ihrer Familie, allen voran Onkel Richard. Was sie von ihm wusste, war, dass er im Kern ein guter Mensch war, dass er verrückte Sachen gemacht, Leute verletzt und sich deswegen mit einem schlechten Gewissen herumgeschlagen, dass er Glück gehabt hatte, dass er alles Menschenmögliche tun würde, um sie zu schützen, und dass seine Beziehungen zu Frauen insgesamt nicht gut gelaufen waren.
Das Flugzeug sank eine Zeitlang und flog dann eine Reihe von Kurven, die nach Landeanflug aussahen. In einer halben Stunde würde die Sonne untergegangen sein, aber jetzt fielen ihre Strahlen beinah waagerecht über die Landschaft unter ihnen, warfen deutliche Schatten und ließen die Geländeformation und die Gebäude deutlich hervortreten. Dass es heiß und feucht war, konnte man sogar von oben sehen. Die physikalische Geografie war verblüffend kompliziert: viele mehrzackige Halbinseln, die nach einem Eintopf aus großen und kleinen Inseln in einer ausgedehnten, durch den Zusammenfluss von wenigstens zwei Trichtermündungen gebildeten Bucht tasteten. Abgesehen von einigen verlandeten Stellen und künstlich angelegten Flächen am Ufer waren die Geländeformen vorwiegend steil, gebirgig und grün. Während des Sinkflugs konnte man irgendwann mühelos Xiamen erkennen, eine weitgehend runde Insel, vom Festland durch so schmale Meerengen getrennt, dass moderne Brücken darübergeschlagen worden waren, um sie mit Vierteln zu verbinden, die wie Industrievororte aussahen.
Sie war die bei weitem größte Insel in der Bucht, abgesehen von einer anderen, weiter vom Festland entfernt liegenden, die von der Größe, wenn auch nicht der Einwohnerzahl her mit ihr konkurrierte. Die runde Insel Xiamen war nämlich fast vollständig erschlossen, nur die steilsten Gebiete im Inneren blieben grün. Die große Insel östlich davon hatte die Form eines Schwamms, der fast auf die Hälfte zusammengedrückt worden war. Sie wies einige Ballungsräume auf, die jedoch weit verstreut waren, tief liegende Städte und dazwischen ausgedehnte, landwirtschaftlich genutzte Ebenen. Andere Teile der Insel waren gebirgig, reine Wildnis, wie es schien, allerdings durchzogen von sich windenden Straßen und gesprenkelt mit merkwürdigen Anlagen voller Kuppeln und Antennen. »Das ist die Insel Taiwan, stimmt’s?«, sagte Zula.
»Ich nehme mal an«, sagte Csongor. »Dieses ganze Zeug da ist Militär; sieht aus wie der Mist, den die Sowjets damals in Ungarn gebaut haben.«
Eine andere, kleinere Insel zog unter ihrer Tragfläche dahin. Auch sie war, verglichen mit allem anderen, auffallend wenig entwickelt. »Die andere«, sagte Csongor. »Die eine ist Kinmen, die andere Matsu. Ich weiß nur nicht, welche welche ist.«
Kurz darauf befanden sie sich über Xiamen, und nach einigen weiteren Kurven setzten sie zur Landung an.
Die Maschine rollte nicht zum Terminal, sondern zu einem Teil des Flughafens mit niedrigeren Gebäuden. Dort wimmelte es von anderen kleinen Privatjets, und sie mussten an zwanzig davon vorbeirollen, ehe sie eine freie Abstellfläche fanden. Zula hatte natürlich keine Ahnung, wie das Privatfliegerterminal von Xiamen an einem normalen Tag aussah, aber das Bild, das sich ihr draußen vor dem Fenster bot, wirkte außerordentlich hektisch auf sie. Jenseits des Sicherheitszauns aus Maschendraht drängelten sich so viele schwarze Autos um die besten Plätze, dass Männer in Uniform mit fuchtelnden Armen und schrillen Pfeifen nötig waren. Manchen der Autos wurde gestattet, aufs Rollfeld unmittelbar neben abgestellte Jets zu fahren.
Die Sicherheitsberater fanden die Vorgänge spannend und drückten sich die Nasen an den Fenstern platt. »
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