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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Hölle!«
    »Ääääähh!«
    Es war eine Handvoll blöder Typen, typische Arschgeigen. Die ergänzten die Bemerkungen:
    »Schwule Sau!«
    »Scheißhomo!«
    »Falt ihn zusammen!«
    Ein Kerl mit nach hinten gegeltem Haar machte plötzlich einen Kickboxausfall. Pålle konnte nicht parieren, wurde hart an der Hüfte getroffen. Man sah seinem Gesicht an, wie weh das tat.
    »Noch mal, Ludvig!«
    »Mach den Schwuli fertig!«
    Pålle war kurz davor, in Panik zu geraten. Die anderen Arschgeigen näherten sich ihm, versuchten ihn einzukreisen.
    »Ihr steht im Weg«, sagte ich laut.
    Sie warfen mir irritierte Blicke zu.
    »Misch dich da nicht ein.«
    »Ich muss pissen.«
    Die Schweinefresse sah aus, als hätte sie mich am liebsten auch getreten. Schnell zog ich den Reißverschluss auf und ging weiter unbeirrt auf die Bande zu. Sie standen zwischen mir und der Pissrinne. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, zog ich den Pimmel heraus und richtete ihn nach vorn, direkt auf die Meute. Sie waren so verblüfft, dass sie zur Seite wichen. Mit einem zufriedenen Seufzer stellte ich mich an die Metallrinne und ließ es laufen. In der ganzen Verwirrung gelang es Pålle, zur Tür zu kommen. Niemand hielt ihn auf. Fluchend drehte sich die Horde daraufhin zu mir.
    »Das ist doch die Vogelscheuche, oder? Erkennt ihr ihn?«
    »Ja, die Schwulentranse.«
    »Du bist schuld, dass er davongekommen ist«, zischte die Schweinefresse drohend.
    »Warum starrst du so auf meinen Pimmel«, erwiderte ich trocken, denn das tat er tatsächlich.
    Mit knallrotem Gesicht wandte er sich ab. Ruhig ging ich zum Waschbecken, wusch mir die Hände und sah, dass der Metallbehälter mit den Papierhandtüchern von der Wand gerissen war und jetzt auf dem Boden lag. Mit feuchten Händen drückte ich die Tür auf und trat hinaus auf den Flur.
     
    In der letzten Stunde hatten wir Schwedisch, sie verlief wie immer. Unser Schwedischlehrer, Greger Moberg, war eine rundliche Holzpuppe mit knarrender Stimme, er trug immer nur hellblaue Hemden mit mittelblauer Krawatte oder mittelblaue Hemden mit dunkelblauer Krawatte oder dunkelblaue Hemden mit hellblauer Krawatte, das war seine Art, dem Chaos in der Welt etwas entgegenzusetzen. Vom ersten Tag an hatte ich ihn gehasst und er mich, ein stummer Krieg, den keiner von uns beiden verlieren wollte. Abgesehen von seinem Kleidungsstil gefiel mir auch sein Name nicht. Ein Schwedischlehrer durfte nicht Greger heißen. Das hätten sie ihm bereits in der Ausbildung beibringen sollen – entweder du änderst deinen Namen, oder du wirst so ein Turnkasper. Sportlehrer, die haben solche Faschonamen wie Arnold, Gertrud, Frank oder Kornelia, Werklehrer heißen Tore oder Bengt, Sozialarbeiter heißen Ibrahim, Sirppa oder Zubeide. Schwedischlehrer könnten Gustaf oder Gunilla heißen, aber niemals Greger.
    An diesem Tag sollten wir uns eine Lektüre von Qualität aussuchen, die wir in unserer Freizeit lesen und anschließend vorstellen sollten. Aus den verstaubten Katakomben der Schwedischlehrer hatte Grrreeeeggerrr einen ganzen Bollerwagen voller Bücher herangeschleppt, die alle mit drei Zentimeter dickem Staub bedeckt waren. Ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, dass es nur Mist gab. Herr der Fliegen von William Golding. Gösta Berling von Selma Lagerlöf. Das Weihnachtsoratorium von Göran Tunström. Kallocain von Karin Boye. Mit leerem Blick suchten sich die Schüler die Bücher aus, die am dünnsten aussahen, und trugen sie auf einer Liste ein. Greger sah mich aufmunternd an.
    »Die sind unlesbar«, behauptete ich.
    »Jetzt verrätst du dein Unwissen.«
    »Nur blöde Autoren. Und außerdem noch tot.«
    »Mehrere sind Nobelpreisträger.«
    »Der Nobelpreis wird überschätzt«, sagte ich mit dem Brustton der Überzeugung. »Der Nobelpreis ist nur was für Arschlecker, die vor den Mächtigen kriechen.«
    »Dann versuch es mal mit Strindberg«, sagte er und hielt Das rote Zimmer hoch. »Der hat nie den Nobelpreis gekriegt.«
    »Strindberg!«, entrüstete ich mich. »Ein Autor kann doch nicht Strindberg heißen, was soll denn Strind bedeuten? Das ist ein Analphabetswort, ich rühre das Ding nicht an, bevor Sie mir nicht erklären können, was Strind bedeutet.«
    Greger schaute mich unsicher an. Jetzt hatte ich ihn.
    »Strindberg würde zu dir passen«, nahm er noch einmal Anlauf. »Der Kerl hatte Probleme mit Frauen, landete wegen Beleidigung vor Gericht und war eine Zeitlang geisteskrank.«
    Mehrere in der Klasse kicherten

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