Erschiess die Apfelsine
höhnisch. Ich hätte ihnen am liebsten den Buchkarren auf die Füße gekippt.
»Ich schreibe besser als diese Moorleichen.«
»Ach, wirklich. Dann zeig uns das.«
»Diese Dichter sind doch nur pathetisch. Sie leben ein sinnloses Leben und schreiben hohle Bücher darüber. Ich kapier nicht, warum wir gezwungen werden, in deren Mülltonnen herumzukramen.«
»Du hast keine Ahnung«, sagte Greger. »Du selbst bist derjenige, der feige ist.«
»Strind«, schnaufte ich. »Strind, das könnten Sie selbst sein.«
»Ein Buch oder keine Benotung. Du hast die Wahl.«
Aha. Da kam endlich die Drohung. Jetzt war es mir gelungen, der Schule die faschistische Fratze herunterzureißen. Gehorsam oder standrechtliche Erschießung. So war das System aufgebaut, aber niemand schien das vor lauter Schwanzwedeln und Kopfnicken zu bemerken. Hier war kein Platz für freie Gedanken.
Demonstrativ schloss ich die Augen, streckte eine Hand vor und wühlte zwischen all den mottenzerfressenen Umschlägen. Nahm das Buch mit zu meiner Bank, ohne draufzuschauen.
»Du musst eintragen, was du ausgeliehen hast«, sagte Greger Moberg.
»Der Existentialismus ist ein Humanismus«, las ich. »Jean-Paul Sartre.«
»Na, da hast du ja eine Nuss zu knacken«, lächelte Greger.
Ich entdeckte Sabina Stare an den Schülerspinden. Sie stand ganz hinten im Flur, und ich blieb abrupt stehen. Tat so, als würde ich ganz versunken in meinem Rucksack wühlen, ich konnte einfach nicht weggehen. Es schien, als wären meine Augen verrückt vor Durst, sie mussten sie trinken. Sie trug ihre kurze Lederjacke und ihre engen Jeans, die ihre Taille und ihren festen, knackigen Po betonten, und über den Rücken floss die sonnenblonde Haarpracht, die sie so selbstsicher zur Seite warf. Sie stand so weit entfernt, dass ich nicht viel mehr erkennen konnte. Die Details verwischten sich, und trotzdem fühlte ich mich ihr so nah, es ist schwer zu erklären, ich konnte die roten Lippen sehen, wie sie sich bewegten wie Walderdbeeren, nein, wie Himbeerherzen, ihre verführerischen langen Wimpern, die Lachgrübchen, die Metallkugel in ihrem Ohr, das zierliche Ohrläppchen, das ich am liebsten mit den Lippen berührt hätte, ihre Halslinie hinunter in die Halsgrube, wo sich die weichste Haut des Menschen befindet, die mikroskopisch feinen Härchen, die sich unter dem ersten heißen Kuss aufrichten. Meine Augen füllten sich, sie wollten mehr und immer mehr, und zum Schluss hatte ich das Gefühl, als stünde sie ganz dicht neben mir, nicht einmal eine Armlänge entfernt, so nah, dass ich in sie eintauchen und verschwinden konnte.
Plötzlich bewegte sie sich auf mich zu. Neben ihr ging ein Junge. Es war die Schweinefresse, der Kerl, der Pålle in der Toilette getreten hatte. Ich schnappte mir den Rucksack und verschwand um die Ecke, bevor sie mich entdeckt hatten, mit weichen Knien, mir war fast übel.
Man kann nicht vermeiden, dass es einem schlecht geht, sobald die Liebe ins Spiel kommt.
Wenn es einen Löschknopf gäbe, einen kleinen runden Schalter, auf dem stünde clear Sabina Stare, dann hätte ich ihn sofort gedrückt. Und schwups wäre sie aus meinem Leben verschwunden, so wie jede Erinnerung an sie, es wäre, als hätte es sie niemals gegeben. Ich wäre wieder ganz normal. So wie vorher. Und wenn ich sie in der Schule träfe, dann wäre sie ein Mädchen wie alle anderen. Sicher, natürlich etwas hübscher, der Meinung konnte ich ja immer noch sein, aber das wäre auch alles. Der Zauber wäre verschwunden. Der Magnetismus.
Das Schlimmste ist: Wenn man jemanden liebt, dann funktioniert das Gehirn nicht mehr. Ich sehe sie an – zwei Arme und zwei Beine. Eine Kugel in der Mitte, ein Kopf obendrauf. Ein bisschen Haut und Haare, zum Teil von Kleidung verdeckt. Eigentlich gibt es jede Menge Mädchen wie sie allein in unserer kleinen Stadt. Im ganzen Land sicher Hunderttausende. Und auf der gesamten Erdkugel Millionen und Abermillionen süße Mädchen im gleichen Alter. Aber ich habe mich nun mal in diese verbissen. Nein, ich habe mich nicht verbissen, mein Schwanz hat das. Mein Schwanz ist der dümmste Teil meines Körpers überhaupt, in diesem kleinen Schwanzkopf findet man nicht die Spur von Gehirn, und trotzdem lasse ich ihn aussuchen und entscheiden.
»Die will ich haben!«
»Sei still, du Dummkopf.«
»Los, geh hin und stups sie an!«
»Jetzt hältst du aber die Klappe, ich warne dich.«
»Sabina Stare, Sabina Stare!«
»Es gibt Schwanzkloppe, wenn du noch
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