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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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das Meer. Ein langgestrecktes Meeresufer. Weißer Sand, der sich bis zum Horizont erstreckt, Palmen, die in der Abendbrise schwanken, frische grüne Kokosnüsse, die am Ufer ins Wasser gefallen sind.
    Und da liegt sie, ohnmächtig. Nein, nicht Lavendel. Sie nicht, aber jemand, der ihr sehr, sehr ähnelt. Nein, stimmt nicht, sie schreit und winkt draußen im Wasser, sie hat einen Krampf bekommen und droht zu ertrinken. Okay, so fängt es an, es gelingt mir, die Schöne ans Ufer zu bugsieren, und da fällt sie vor Erschöpfung in Ohnmacht. Ohne mich wäre sie krepiert. Und jetzt liegt sie da. In ihrem Bikini, schließlich hatte sie sich gesonnt und wollte nur noch ein letztes Mal ins Wasser springen. Und man erkennt die Brustwarzen durch den Stoff. Ich beuge mich vor, um ihre Herztöne zu hören, ich muss ja wissen, ob es noch schlägt, aber der Bikini ist im Weg. Ich kann so schlecht hören, bin gezwungen, ihn zu öffnen. Ich muss es einfach tun. Dann lege ich mein Ohr zwischen die weichen, warmen Brüste. Ich liege ganz gespannt da und lausche. Sie atmet nicht. Nein, sie atmet nicht oder zumindest nur lebensbedrohlich schwach. Deshalb muss ich es einfach tun. Ich lege ihr eine Hand unter den Nacken. Das lange Haar ist ganz weich. Die Sonne geht im Meer unter, bildet eine sich wiegende, rotrollende Zunge am Horizont. Ihre Lippen sind feucht. Erwartungsvoll. Eine Spur geöffnet.
    Und ich beuge mich hinab. Meine Lippen auf ihren. Ich puste. Ein leichtes Erschauern, geradezu elektrisch, ein Lebenszeichen. Ein genussvoller Seufzer. Und dann bewegt sie die Hand, es ist ein Wunder. Sie legt ihre Hand sanft um meinen Nacken, ihre Lippen füllen sich mit Blut und Wärme. Und wir küssen einander, sie schlägt die Augen auf. Die sind grün wie Lagunen, es gibt einen Sonnenuntergang darin, und sie ergreift meine Hand. Führt meine Finger vorsichtig unter den Bikinisaum, während sie die Beine spreizt. Mir wird schwindlig, ich schließe die Augen. Mein ganzes zitterndes Ich sammelt sich in meinen Fingerspitzen, die sich vorsichtig in die weiche Tiefe tasten …
    Jaa … Mmm …
    Und dann?
    Ich wusste es nicht so genau.
    Wie fühlt sich ein Mädchen da unten eigentlich an? Feucht und glatt? Oder klebrig? Mit einem Schnurrbart rundherum und einem Knopf, auf den man drücken muss? Und wo saß der eigentlich? Man musste wohl ganz vorsichtig ein wenig herumsuchen. Sehen, ob ihr das gefiel. Damit man keinen Fehler machte. Und dann das Loch selbst, wo saß es in dem ganzen Kram? Und war es rund wie eine Toilettenpapierrolle oder zusammengedrückt? Wie kriegte man es auf? Wenn es nun zugeklebt war, was machte man dann? Sollte man direkt fragen? Nein, dann wirkte man ja wie ein blutiger Anfänger. Aber das war man ja. Nein, besser, zurückspulen zum Kuss. Wir machen es noch einmal. Also los.
    Die Lippen, die sich ihren nähern, die ihnen schließlich begegnen. Und ein leichtes Zittern, geradezu elektrisch …
    »Ich liebe dich«, flüstert sie.
    Ja, das tut sie. Denn das ist ein Film mit Happy End.
     

KARTOFFEL 13
     
    Knuspriger Himmel. Senkrechte Kälte. Jemand hatte die Schule getötet. Sie war ein geschlachteter Blauwal. Die Wunde lief die ganze Seite entlang, weiße, tiefe Stiche, bleiche Narben auf der dunklen Haut. Der Drachen war mit einem lächerlich kleinen Messer getötet worden, das immer wieder zugestochen hatte, bis es das Herz traf und das Leben entwich. Die Schule war besiegt, und ich stand unter Hunderten von Schülern und las:
    Bombardier den Dreck. Bomben auf die Gehirne. Das Runde soll ein Herz werden.
    Worte über die gesamte Fassade. Es war einfach schön. Alle waren ergriffen, standen mit offenem Mund vor dem Unerhörten. Mehrere lächelten. Einige fragten sich: »Wer?« Andere hoben ihre Arme wie bei einem Rockkonzert und knipsten mit ihren Handys. Eine Revolution hatte stattgefunden. Die Seelen öffneten sich, die Menschen spürten wieder Hoffnung. Oder nicht nur Hoffnung, es gab auch Wut und Freude und Hass, Geheimnisse, Verwunderung, Irritation. Sie fühlten. Sie erwachten. Jemand hatte den Aufkleber abgerissen, der auf die Welt geklebt worden war, und darunter öffnete sich die Wirklichkeit. Das Leben. Alle fingen an zu leben.
    Eine Dame in bleigrauem Mantel kam vom Parkplatz heran. Die Schulleiterin. Sie registrierte die Menschenmenge und hob ihren Blick. Der Hals hüpfte, während sie las und schluckte.
    Ich fühlte den Triumph. Alte, dieses Gedicht kannst du nicht abreißen. Es war zu spüren, dass sie

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