Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
aufgebockt worden, das Blut in einem Plastikkanister gesammelt, jeder Nagel und jede Wimper mit einer kleinen Nummer versehen. Um dann wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt zu werden. Das Bild ist perfekt, alle Teile sind vorhanden, aber trotzdem …
    Verwirrung. Das Gefühl nach einer Ohnmacht. Man fühlt sich reingelegt. Aber alle im Bus, alle auf dem Bürgersteig, wahren die Maske. Niemand verplappert sich, alle tun so, als wäre alles tatsächlich richtig. Und zum Schluss glaubt man denen auch noch.
    Wenn man aufwacht, versuchen sie einen festzuhalten, erklären, der Krankenwagen sei unterwegs, aber man reißt sich los und rappelt sich auf. Sie sagen, etwas sei gebrochen, und so fühlt es sich auch an, aber dennoch bleibt man stehen. Und dann geht man seinen Weg, man hinkt und schlurft davon, obwohl sie einen bitten, zu bleiben, man geht allein davon und wartet an der Bushaltestelle. Man kotzt ein wenig, aber der Magen ist leer, und schließlich kommt der Bus, so dass man nach Hause fahren kann.
    »Woher hast du die Beule?«, fragt Mama.
    »Welche Beule?«
    »Die ist ja riesig. Da oben.«
    »Aua!«
    »Du hast dir ziemlich weh getan.«
    »Nein, au …«
    »Aber mein lieber Freund, du bist ja verletzt.«
    »Ich bin hingefallen.«
    »Dafür sitzt sie zu hoch.«
    »Was?«
    »Die Beule. Du hast aus einem merkwürdigen Winkel heraus eins verpasst gekriegt.«
    »Das liegt ja wohl daran, wie man fällt.«
    »Hast du dich geprügelt?«
    »Mama …«
    »Das sieht aus wie ein harter Schlag schräg von unten. Mit einem stumpfen Gegenstand, so was habe ich schon in der Notaufnahme gesehen.«
    »Ich bin hingefallen …«
    »Gib dir gar keine Mühe, so etwas kenne ich. Kannst lieber gleich die Wahrheit sagen.«
    »Okay, ich bin verprügelt worden.«
    »Habe ich es doch gewusst.«
    »Er hat mir ein Buch gegen den Kopf geschmettert.«
    »Wer?«
    »Gunnar Ekelöf heißt er. Ein dickes Buch, zack auf den Schädel.«
    »Gunnar Ekelöf? Bist du dir sicher?«
    »Mm.«
    »In welche Klasse geht er denn?«
    Ich schielte zu ihr hinüber. Sie hatte ihre Krankenschwestermiene aufgesetzt. Konzentriert, effektiv, auf das Schlimmste gefasst.
    »Ich weiß es nicht Mama, das macht doch auch nichts, lass es uns einfach vergessen.«
    »Ich werde ihn anzeigen.«
    »Nein, dann kriegst du Probleme. Ich habe zuerst geschlagen.«
    »Du hast angefangen? Und Gunnar Ekelöf hat zurückgeschlagen?«
    »Das kann man so sagen.«
    »Ich glaube, du hast eine Gehirnerschütterung.«
    »Ach was …«
    »Das sieht man an den Pupillen. Ist dir übel? Hast du dich übergeben?«
    »Ach, Mama …«
    »Habe ich es doch gewusst. Zieh deine Jacke an. Wir fahren ins Krankenhaus.«
    »Nie im Leben.«
    »Dir ist wohl nicht klar, wie gefährlich eine Gehirnerschütterung sein kann. Außerdem ist es angeschwollen.«
    »Das ist nur eine Beule.«
    »Können auch innere Blutungen sein. Eine Ader, die geplatzt ist und immer weiter tropft, so dass der Druck im Gehirn ansteigt, und wenn du morgen früh aufwachst, bist du vollkommen gelähmt. Hast du Kopfschmerzen?«
    »Nein«, log ich.
    »Komm, wir fahren.«
    »Mama, ich kann nicht.«
    »Müdigkeit gehört auch zu den Symptomen.«
    »Mama, hör mir zu. Fahr du, wenn du willst. Aber ich bleibe zu Hause.«
    »Du kommst mit!«
    »Nein.«
    »Doch!«
    Ich schüttelte nur den Kopf. Meine Hände umklammerten die Tischplatte, als wäre ich vier Jahre alt und sie würde mich hochheben wollen. Aber mein Körper war jetzt zu groß dafür, sie würde das niemals schaffen. Sie musste einsehen, dass ich inzwischen selbst für mich entschied. Trotzdem versuchte sie meine Hände loszureißen. Ich hielt dagegen. Sie packte sie mit all ihrer Kraft und bekam eine los. Ich riss sie an mich, sie kämpfte dagegen an. Ihr Gesicht zog sich zusammen, gleich würde sie schreien, einen Wahnsinnsschrei, größer als die Wohnung, jetzt kam er gleich …
    Die Türklingel.
    Wir erstarrten beide.
    Noch einmal ein Klingeln.
    Schließlich ließ sie mich los. Schloss den Mund, fuhr sich schnell mit den Händen durchs Haar, setzte ihre Alltagsmaske auf. Dann ging sie, die Tür öffnen.
    Draußen stand ein Monster. Rotes Fleisch. Blutflecken, violette Haut, ein einsames Auge blitzte in dem Matsch auf.
    »Hilfe«, kam es nuschelnd heraus.
    »Gunnar?«, fragte Mama verwundert.
    »Nein«, murmelte eine Stimme. »Nein, nein, nein …«
    Es war Pålle.
     

KAPICKEL 16
     
    »Wie fühlst du dich? Ist dir schwindlig?«
    Es roch nach frischen Verbänden, Alkohol,

Weitere Kostenlose Bücher