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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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gewöhnliche Peinlichkeit. Sagen Sie, haben Sie was zu essen? Ich bin total ausgehungert.«
    Sie legte wortlos ihren Stift hin.
     
    Das Rezept für ein Knut-Hamsun-Sandwich.
    Eine Scheibe Weißbrot. Darauf eine dicke Schicht Butter. Gehobelte Käsescheiben. Bedeck den Käse mit Mayonnaise, dekoriert mit einem in Scheiben geschnittenen gekochten Ei. Kaviar aus der Tube darüber ringeln. Leg eine zweite Scheibe gut gebuttertes Weißbrot obendrauf. Darauf kommt Hamburgerdressing. Drück ein paar Tomatenscheiben darauf fest. Betone den Tomatengeschmack mit Ketchup und ein wenig Oregano. Leg anschließend eine Scheibe geräucherten Schinken darauf, zwei, drei Scheiben sind auch in Ordnung. Bestreiche sie mit kleingehackten Gewürzgurken. Darauf Creme fraiche, in die ein Würstchen gedrückt wird. Das Ganze mit Senf dekorieren. Schließe die Herrlichkeit mit einer dritten gebutterten Weißbrotscheibe ab, mit der Butterseite nach unten. Mund sperrangelweit auf und genießen.
     
    Mein Hungern war beendet. Es war Nacht, ich hatte achtzehn Quetschungen, eine Gehirnerschütterung, eine Schusswunde an der Stirn und eine dicke Beule. Der ganze Körper tat mir weh, aber ich lebte. Ich nahm einen Riesenbissen und spürte, wie der Körper anfing zu jubeln. Es kam Essen! Es war so lange her seit dem letzten Mal. Die Zähne bohrten sich ins Brot, die verschiedenen Geschmacksnoten drängten sich auf, Aromen und Düfte vermischten sich und verstärkten einander, es war das Himmelreich. Ich hatte selten etwas so Unglaubliches genossen. Die Mischung war saftig und cremig, weich und säuerlich vereint mit dem senfgesalzenen Gitarrensolo des Würstchens ganz oben, es sang im Mund, dass die Augen tränten.
    Mama war ins Bett gegangen. Sie hatte auch noch mit dieser Sozialtante geredet und war schluchzend und mit roten Augen wieder herausgekommen. Wir hatten für die nächste Woche einen Termin bekommen. Sie hatten mich unter Druck gesetzt, den Namen des Angreifers zu nennen, und ich hatte beharrlich wiederholt: Ekelöf und Hamsun. Ekelöf und Hamsun. Schließlich waren sie mit einer dieser Polizeidamen aus dem Krankenhaus angekommen, die wollte, dass ich eine Anzeige erstatte. Da fügte ich noch Majakowski hinzu. Vorname Wladimir. Dann gaben sie sich endlich zufrieden und ließen mich nach Hause fahren.
    Aber Pålle. Sein blutig zusammengeschlagenes Gesicht. Hatten die Arschgeigen ihn zum Schluss doch noch erwischt? Hatten sie nach der Schule auf ihn gewartet? Vielleicht vor seinem Haus. Ich hatte versucht, ihn zu warnen, ich hatte getan, was ich tun konnte. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie schuldig.
    Während ich auf dem Schlafsofa unter der Bettdecke lag, fing der Magen an, das Festmahl zu verdauen. Leise blubbernde, surrende, knurrende Geräusche waren aus dem Darmpaket zu hören, als das Hamsun-Sandwich zerlegt wurde und die Nährstoffe mit dem Blut in alle Teile des Körpers geschickt wurden. Mir kam in den Sinn, wie fantastisch das eigentlich funktionierte. Alles ging ganz automatisch, ich konnte einfach so daliegen und die Augen schließen, während es geschah. Vielleicht war es doch gar nicht so dumm, Arzt zu werden? Zu lernen, wie da drinnen alles zusammenhing, jeder Nerv und jede Muskelfaser, all dieses Feuchte und Warme, was wir als Mensch bezeichnen.
    Bevor ich einschlief, sah ich noch als Allerletztes das Bild eines Mädchens in Hippiekleidung auf einem Treppenabsatz vor mir. Ihre grünen Augen quer durch das Menschenmeer, durch Leonardo, durch die Schweinefresse und Ludvig, durch den Demonstrationsauflauf der Kunstschüler und die höhnisch grinsende Horde der Arschgeigen, ein Blick, der sich vordrängte, bis in mich hinein, wie eine verzweifelte Liebkosung. Sie hatte mich gesehen. Dort auf dem schwindelerregenden Berggipfel. Und dann hatte ich meine Flügel ausgebreitet.
     

SCHLUSS MIT LEBEN ZWO
     
    Mein zweites Leben war vorbei. Mein erstes wurde auf einem laut hallenden Schulflur beendet, als ein Strauß Rosen auf einen Steinfußboden traf. Da war ich gestorben und ein anderer geworden, ein Fremdling mit Federn, ein grölender Wilder mit Putzkittel und Rotzfleck, der herumflatterte und Vogelscheiße auf Schulwände und Schulleitung verspritzte.
    Dieses Wesen war jetzt auch tot. Es war auf einer Steintreppe zerschmettert worden, als es glaubte, fliegen zu können, es war zerbrochen, einsam und letztendlich besiegt.
    Die Schulleiterin hatte das gesamte Schwarze Brett entfernt. Allein die Löcher waren noch wie schwarze

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