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Ersehnt

Ersehnt

Titel: Ersehnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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düsterer, machthungriger König im mittelalterlichen Island gewesen war, mit dem alten Mac. Sie hatten nicht viel gemeinsam.
    »Nun, er ist tot«, sagte ich und Meriwether verzog das Gesicht.
    »Tut mir leid«, flüsterte sie.
    »Schon okay. Es ist lange her,« Ha ha, du hast ja keine Ahnung, wie lange. Ich atmete aus und dachte einen Moment lang an meinen Vater. Normalerweise tue ich das nicht. »Ich weiß noch, dass er ziemlich unnahbar war«, sagte ich. »Meine Mutter hat mehr Zeit mit uns verbracht. Er war eher der strenge Typ.«
    »War er in seinem Job viel unterwegs?« Sie drückte einen Klebestreifen fest und trat zurück, um unser kunstvolles Schild zu bewundern.
    Ja, irgendwie schon, denn es ist schwierig, andere Dörfer vom Schaukelstuhl aus zu unterjochen und auszuplündern. Mein Vater war einer von diesen Königen gewesen, wie es damals viele gab - mächtige Männer, die über ein kleines Reich herrschten. In den ersten zehn Jahren meines Lebens hatte er die Fläche seines Reichs vervierfacht. Ich nickte. »Manchmal hat er uns Dinge beigebracht«, fuhr ich fort, obwohl ich nicht wusste, wieso ich es nicht einfach ließ. »Er war, äh, beim Militär und wollte, dass wir alle mutig und hart im Nehmen werden. Mein großer Bruder hat ihn verehrt.« Sigmundur hatte versucht, in jeder Beziehung so zu sein wie Faöir, Als er starb, war er sechzehn, aber schon ein erfahrener und harter Krieger.
    »Hat er viel geschrien?« Meriwether nahm das letzte Schild und sah sich nach einem guten Platz dafür um. Ich zeigte auf die Vorderseite des Verkaufstresens und sie nickte. Wir gingen hinüber, um das Plakat festzukleben.
    »Wenn er gebrüllt hat, kam es mir immer vor ... als würde das ganze Haus wackeln«, sagte ich. »Die Leute, die für ihn gearbeitet haben, hatten Angst vor ihm.« Das wurde mir tatsächlich erst jetzt klar.
    »Genau wie mein Dad.« Meriwether riss ein Stück Klebeband ab und drückte es fest.
    »Stimmt.« Auf eine bizarre, unerklärliche Weise.
    »In den Weihnachtsferien ist mein Dad schlimmer als sonst«, sagte Meriwether. Wir hörten, wie der alte Mac den Apothekenbereich verließ und in unsere Richtung kam, also verstummten wir schnell, trennten uns und konzentrierten uns auf unsere verschiedenen Aufgaben. Langsam drifteten wir wieder aufeinander zu und fuhren fort, Schachteln und Fläschchen in die Regale zu räumen.
    »Du sagtest, dass es um diese Zeit war, dass deine Mutter ...« Ich bin keine besonders sensible oder mitfühlende Person und es ist normalerweise kein Problem für mich, auf den Gefühlen anderer Leute herumzutrampeln. Aber ich mochte Meriwether und sie hatte bei Gott schon genug durchgemacht, auch ohne dass ich es noch schlimmer machte.
    »Stimmt.« Meriwether konzentrierte sich darauf, alle Schachteln perfekt auszurichten. »Wir waren auf dem Rück;weg von einer Weihnachtsfeier und die Straße war vereist. Mein Dad war nicht mitgekommen.«
    »Du warst auch im Wagen?« Meine Güte. Dasselbe war mir in Frankreich auch passiert; an diesem Tag im Jahr 1929 hatte ich River kennengelernt. Aber die Person, die 'dabei ums Leben gekommen war, war praktisch eine Fremde gewesen, deren Tod mein Gewissen kein bisschen belastet hatte. Solche Sachen waren mir schon immer ziemlich gleichgültig gewesen - bis zu dem Taxifahrer vor zwei Monaten.
    Zu dem, was sie mir in River's Edge beibrachten, gehörte es, die Dinge mit der angemessenen Intensität zu fühlen.
    Meriwether nickte, ohne mich anzusehen. Ich kapierte es sofort: Sie fühlte sich schuldig, weil sie überlebt hatte. Und ihr Vater konnte sie nicht ansehen, ohne daran erinnert zu werden, dass seine Frau und sein einziger Sohn tot waren. Und sie nicht.
    »Tut mir wirklich leid«, sagte ich und es war etwa das zweite Mal in meinem Leben, dass mir diese Worte über die Lippen kamen. Aber sie tat mir ehrlich leid - sie konnte in dieser Situation unmöglich gewinnen.
    Ich musste daran denken, wie ich um 1650 in einem kleinen Dorf außerhalb von Neapel gelebt hatte. Eine der letzten Pestepidemien brach aus und die Leichen stapelten sich. Später habe ich gelesen, dass bei diesem Ausbruch die Hälfte der Bevölkerung von Neapel draufgegangen ist. Die Hälfte einer ganzen Stadt. Die Hälfte.
    Mein kleines Dorf hatte es schwer erwischt. Meine Nachbarn starben, ihre Kinder starben, der örtliche Priester starb. Alles gute, freundliche Menschen, die in nur wenigen Tagen dahingerafft

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