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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Geliebter. Was war mit ihm? War er auch dort und wartete? Wartete er darauf, den größten Verrat aller Zeiten zu rächen, die gefälschte Botschaft der Götter, den Betrug an ihnen? Er starrte in die Dunkelheit, und er hatte Angst.
    Als sie das zweite Mal anhielten, um sich auszuruhen, fühlte Kate Alisons Puls. Das Mädchen wurde immer schwächer. Sie konnten zusehen, wie ihre Lebenskräfte schwanden. Sie blickte Anne an. »Was können wir tun?«
    Anne zuckte unglücklich mit den Schultern. Sie fühlte sich hilflos. All ihr Wissen über den menschlichen Geist hatte sie im Stich gelassen. Sie hatte nichts, woran sie sich halten konnte. Das hier wurde von keiner Kategorie abgedeckt, über die sie je gelesen hatte. Es war keine Störung im chemischen Gleichgewicht des Gehirns; es hatte nichts mit einer multiplen Persönlichkeit zu tun; es war keine Schizophrenie; es war keine Art von manischem Zustand. Marcus war eine äußere Kraft, ein in den Kopf des Mädchens eingedrungener Parasit. »Ich wünschte, ich wäre religiös. Ich habe das Gefühl, ein Priester könnte eher helfen als irgend etwas anderes«, sagte sie langsam. »Oder irgendeine Art von Medium als Vermittler. Unsere Kultur gibt uns keine Waffen mehr an die Hand, um das zu bekämpfen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Sie sah zuerst Jon an und dann Pete, die im Schnee hockten. Aus dem Schneeregen, der ihnen ins Gesicht schlug, war Regen geworden, ohne daß sie es bemerkt hatten. Der Wind, stärker als je zuvor, fühlte sich jetzt wärmer an. Hinter ihnen stieg wie ein allgegenwärtiger Feind das Wasser stetig höher, floß zwischen die Bäume, stahl sich unmerklich durch das Unterholz.
    »Ist er noch da?« fragte Kate ihre Schwester flüsternd. »Ist er noch in ihr?«
    Anne zuckte mit den Achseln. »Ich glaube nicht. Sie ist ruhig; sie hat keine Kraft mehr.«
    »Wo aber ist er dann?« Kate sah Jon in die Augen, als er sich über sie beugte, um einen Blick auf Alison zu werfen.
    Jon lächelte matt. »Ich weiß es nicht«, sagte er.
    Anne stand steif auf. Der Wald war sehr still; die Bäume schienen zu lauschen, während sie den zischenden Regen und den Wind mit einem Achselzucken abtaten.
    »Vielleicht ist er ganz weg jetzt, da das Grab überflutet ist.« Patrick stand ebenfalls auf. Jon und Pete bückten sich, um die Trage anzuheben, und langsam setzte sich die kleine Prozession wieder in Bewegung. Kate blieb noch einen Moment lang stehen und starrte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er war nicht hier. Der Wald war leer. Aber das hieß noch nicht, daß er für immer verschwunden war. Tief in ihrem Inneren sagte ihr etwas, daß er noch in der Nähe war, irgendwo. Daß er wartete.

LXX
    »Lieber Gott, was geschieht bloß?« Diana schmiegte sich an Greg und machte sich ganz klein. Das Zimmer war dunkel geworden. Das Stürmen und Fauchen des Windes füllte den Kamin und wehte Asche ins Zimmer.
    »Susie!« schrie Cissy plötzlich. Ihre Stimme war schrill vor Panik. Das Mädchen war aus dem Sessel gefallen. Sie wand sich auf dem Boden, die Hände an der Kehle, als versuchte sie, sich aus Fingern zu befreien, die sich ihr um den Hals gelegt hatten œ Finger, die man nicht sehen konnte. Die Kerze, die auf dem Tisch neben dem Sofa stand, flackerte plötzlich auf und ging aus. Eine beißende Rauchfahne zog durch das Zimmer.
    »Susie!« Diana stürzte auf sie zu. »Mein Gott, jetzt geht es wieder los.«
    Susie schlug auf dem Teppich wild mit den Armen um sich, hämmerte mit den Absätzen auf den Boden, rang um Atem.
    Mein Ich habe sie Mein HASS WUT Sie konnte nichts sehen, nichts spüren außer dem Schmerz in ihrem Kopf, als drei formlose Gestalten versuchten, ihre leeren, weit geöffneten Seelen an der ihren festzumachen, parasitär, gierig.
    »Mummy!« Ihr Schrei voller Qual und Angst erstarb in ihrer Kehle, als sie sich wieder vor Schmerzen krümmte.
    »Susie!« Cissy kniete, zog an den Handgelenken des Mädchens, versuchte, ihre Hände von ihrem Gesicht wegzureißen.
    »Dasselbe ist mit Allie passiert.« Greg kniete sich neben sie. Er sah das Mädchen einen Augenblick lang an, dann starrte er im Zimmer umher. »Er ist hier. Er ist hier, bei uns im Zimmer.« Er wandte sich zurück zu seiner Mutter.
    »Sorg dafür, daß sie aufhört, sich zu verletzten, Cissy«, kommandierte Diana mit erstaunlich kräftiger Stimme. »Marcus, du Mistkerl!« Sie drehte sich um und schrie es an die Decke. »Siehst du nicht, daß es keinen Sinn mehr hat. Es ist

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