Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
glücklich aussah wie lange nicht mehr. Dann riß Diana sich plötzlich von Gregs Arm los.
»Also gut, du Mistkerl!« schrie sie in das Zimmer. »Bist du jetzt zufrieden? Du hast noch jemanden umgebracht. Aber er ist besser als du. Ein guter Mensch, und er wird dich zur Strecke bringen. Er wird dir in die Hölle folgen und wieder zurück, wenn er muß!« Sie brach wieder in Tränen aus. »Jetzt verschwinde aus meinem Haus! Verschwinde und komm keinem von uns mehr zu nahe!«
»Ma.« Greg nahm ihre Hand. »Ma, komm fort. Das hat keinen Sinn.«
»Hat es nicht?« Durch ihre Tränen fuhr sie ihn an wie eine fauchende Katze. »Na, für mich schon! Ich will, daß dieser Mistkerl von einem Römer für immer von hier verschwindet. Mein Haus kriegt er nicht. Meine Kinder kriegt er auch nicht! Wir erzählen der ganzen Welt, wer er ist. Wir erzählen der ganzen Welt, daß er ein Mörder und ein Lügner und ein Betrüger ist. Er hat diese arme Frau umgebracht. Er hat Bill umgebracht. Und jetzt hat er meinen Roger umgebracht -« Sie brach schluchzend zusammen.
Es gelang Greg, sie wegzuziehen. Im Wohnzimmer hatte Cissy es geschafft, auf die Beine zu kommen. Ihr Gesicht war kreidebleich. »Diana -?«
»Dad ist tot.« Greg führte seine Mutter zum Sofa. »Bitte, Cissy, stell den Kessel auf. Sie braucht eine Tasse Tee. Und einen Brandy.«
»O Liebes, es tut mir so leid.« Cissy berührte Diana an der Schulter, dann humpelte sie durch das Zimmer zum Herd. Sie zitterte heftig. Ihr Arm, provisorisch bandagiert und in einer Schlinge, tat teuflisch weh, aber sie nahm keine Rücksicht darauf, als sie den Kessel auf die Herdplatte manövrierte. Plötzlich kam von oben ein ohrenbetäubender Knall. Sie drehte sich schnell um. »Was war das?«
Greg stand über seiner Mutter. Bei dem Geräusch hatte er sich umgedreht. Mit zwei großen, schmerzhaften Schritten war er an der Tür.
Hinter ihm hatte sich Susie in einem Sessel zusammengekauert und den Kopf in einem Kissen vergraben. Cissy lief zu ihr und legte schützend den Arm um sie.
Dianas Gesicht war bleich, die Augen glasig. »Es hat angefangen«, flüsterte sie.
»Was hat angefangen?« Greg öffnete die Tür und sah die Treppe hinauf.
»Dein Vater und Marcus.«
Greg drehte sich schnell um. »Du glaubst doch nicht, daß -«
»Dein Vater versucht, uns zu beschützen.«
Greg starrte sie einen Moment lang an. Dann drehte er sich um, zog sich unter Schwierigkeiten am Treppengeländer hoch und verschwand nach oben. Es folgte eine lange Stille. Drei Augenpaare wichen nicht von der Tür. Dann hörten sie, daß er zurückkam. Er erschien und machte die Tür hinter sich zu. Er zitterte vor Anstrengung. »Nichts«, sagte er. Die Worte waren kaum aus seinem Mund, als es den nächsten Knall gab, lauter als der erste.
Diana schluchzte. »Roger. Sei vorsichtig.«
»Ma -« Greg ging zu ihr und setzte sich neben sie. Er legte den Arm um sie und zog sie fest an sich. »Es sind wahrscheinlich die Balken, die sich in der Kälte dehnen oder zusammenziehen. Es ist nicht Dad -« Er blickte Cissy an. »Den Brandy.«
Cissy nickte mit bleichem Gesicht. Sie holte Flasche und Gläser von der Anrichte und brachte sie zum Feuer. Als sie einschenkte, zitterte ihre Hand so sehr, daß sie etwas von der Flüssigkeit auf den Kamm verschüttete. Sie gab Diana ein halbes Glas voll. Geistesabwesend trank Diana einen Schluck. Sie hustete heftig und gab das Glas weiter an Greg, der ebenfalls einen Schluck trank. Alle warteten mit gespitzten Ohren auf den nächsten Knall.
Die Stille wurde länger. Es dauerte mehrere Minuten, bevor sie bemerkten, daß an die Stelle des vertrauten Geruchs von Rauch und Politur im Zimmer der Duft von Moschus getreten war.
LXIX
In seinen Träumen sah er sie oft, die Frau, die ihn betrogen hatte. Er sah, wie sie lachte. Er sah sie in den Armen ihres Liebhabers. Er sah sie wieder und wieder in ihrem blauen Gewand, sah, wie sich der scharlachrote Fleck über ihre Röcke ausbreitete, wie sich ihre wilden Augen voller Schmerz und Haß öffneten. Und immer und immer wieder hörte er, wie sie ihn verfluchte. Es war der Fluch einer Frau. Der Fluch einer Sterbenden, ausgestoßen vor den Göttern selbst. Immer erwachte er zitternd und schweißgebadet, und wenn Augusta ebenfalls erwachte, behauptete er, es sei ein Anfall von Sumpffieber. Er hatte Angst vor dem Tod. Solange er lebte, konnte sie ihm nichts anhaben, aber nach dem Tode würden sie gleichgestellt sein. Und der Priester, ihr
Weitere Kostenlose Bücher