Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
umdrehen, als er aus dem Augenwinkel heraus sah, wie sich zwischen den Bäumen etwas bewegte. Er erstarrte. Marcus? Claudia? Sein Vater? Er wartete mit angehaltenem Atem.
Seine Erleichterung war unermeßlich, als er eine kleine Gruppe von Menschen erkannte, die zwischen sich etwas trugen, das aussah wie eine Trage. Er hinkte zur Tür und zog die Riegel auf. Der Schwall kalter Luft trug den süßen, reinen Geruch von Schmelzwasser vor sich her, als die durchnäßten, erschöpften Gestalten über den Rasen wankten. Er fragte nicht, wer die beiden unbekannten Männer waren, als sie hereinmarschierten; es reichte, daß ihnen nichts passiert war.
Er starrte hinunter auf das Gesicht seiner Schwester, und ihm wurde kalt, seine Erleichterung verflog.
»Was ist passiert, Kate?« Er hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich.
»Wir haben sie wieder am Grab gefunden«, sagte sie erschöpft. »Marcus hatte sie in seiner Gewalt.« Sie warf sich neben Anne auf das Sofa, die dort zusammenbrach, sobald sie es erreicht hatte. Dann erst sah sie Susie vor dem Feuer liegen. »O nein?« Ihr Flehen verwandelte sich in ein Schluchzen.
»Ihnen wird es bald wieder gutgehen.« Diana kniete neben der Trage, wo Pete und Jon sie auf den Boden gelegt hatten, und drückte Alisons Kopf an ihre Brust. Hinter ihnen verriegelte Paddy die Haustür und ließ sich dann dort, wo er war, auf die Fußmatte sinken. Er ließ sich hinunterrutschen, bis er mit dem Rücken zur Wand saß und ins Nichts starrte. Er hatte die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht.
Jon blies sich auf die eiskalten Finger, während er ruhig hinüber zu Kate ging, um sich hinter sie zu stellen und ihr die Hände auf die Schultern zu legen. Es war eine beruhigende Geste, und sie lehnte sich zurück, dankbar für seine Kraft. Als sie müde die Augen hob, sah sie, wie Greg sie anstarrte. Sein bleiches Gesicht war von dem Schock ganz steif geworden.
»Das ist Jon Bevan, Greg«, sagte sie langsam, während sie begann, mit dem Reißverschluß an ihrer nassen Regenhaut zu kämpfen. »Er und Pete sind gekommen, uns zu suchen. Sie sind direkt zum Cottage gegangen. Sie haben Allie gefunden.«
»Jon Bevan?« Claudia, Marcus, sogar sein Vater waren vergessen, als Greg seine Aufmerksamkeit auf Jons Gesicht richtete. »Der Dichter?«
»Stimmt.« Jon ging um das Sofa herum und streckte seine Hand aus.
Greg starrte sie nur an. Er machte keine Anstalten, sie zu nehmen. »Sie sind also gekommen, um hier bei uns Ghostbuster zu spielen, was?« sagte er kühl. »Und was für Qualifikationen haben Sie, Marcus Severus Secundus in die Hölle zurückzuschicken, aus der er gekommen ist?«
Jon ließ die Hand sinken. Er begann, seine triefnasse Jacke abzustreifen. »Vielleicht kann ein Dichter mit den Toten kommunizieren; ich bin sicher, er kann es mindestens so gut wie ein Maler«, erwiderte er steif. »Man sagt, wir sprechen eine universelle Sprache, die die Jahrhunderte überdauert.«
»Ich dachte, es sei aus zwischen Ihnen und Kate«, drängte Greg. Er war erschüttert über die plötzliche Ankunft dieses Mannes, von dem er geglaubt hatte, er sei längst aus Kates Leben verschwunden.
»Greg!« unterbrach ihn seine Mutter, die Stimme scharf vor Sorge. »Hilf mir mit Allie! Schnell!« Alisons Kopf war auf Dianas Arm nach hinten gefallen, und ihre Augen stierten ins Leere.
Ohne daß es jemand bemerkte, verstärkte sich der Tabakgeruch im Zimmer.
»Mein Gott!« Greg half seiner Mutter, sie auf den Boden sinken zu lassen. Tief nach unten gebückt, legte er sein Ohr an ihren Mund. »Sie atmet noch.« Er drehte sich, um Jon ins Gesicht zu sehen. Seine Miene verhärtete sich wieder. »Und? Was machen wir jetzt, Herr Dichter?«
Jon nahm ihn nicht zur Kenntnis. Wie die anderen starrte er auf die beiden Mädchen, die nah beieinander auf dem Boden lagen. Nur ein gelegentliches angsterfülltes Schluchzen von Cissy unterbrach die Stille im Raum. Dianas Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sie war völlig leer, sogar zum Sprechen zu müde. Mit Alisons Hand in der ihren saß sie hilflos auf dem Boden und blickte auf das Gesicht ihrer Tochter.
Lange Zeit war alles still. Kate sah Jon an. Sie hatte die Feindseligkeit zwischen den beiden Männern nicht bemerkt, und auch nicht die elektrisch geladene Atmosphäre, die Spannung, die zwischen ihnen aufblitzte, aber sie spürte die Kälte im Zimmer, die plötzlich fast mit Händen greifbar war. Sie wirbelte um sie herum. Er war da. Er war nicht verschwunden. Sie
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