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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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wie sie es vor einiger Zeit verlassen hatten. Aufgeräumt, sauber, fast leer, ihre Koffer an der Wand gestapelt. Die Überreste von Gregs Bildern waren weg œ in das provisorische Atelier im Arbeitszimmer seines Vaters gebracht. Beide Fenster waren geschlossen, die Fliegen verschwunden. Vom Halsreif gab es noch immer keine Spur.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung ging sie zurück nach unten ins Wohnzimmer.
    O Gott, da war es wieder! Dieser Geruch von Erde und dieser süße, undefinierbare Duft. Mit einem müden Kopfschütteln ging sie zum Ofen, stopfte so viele Scheite wie möglich hinein und knallte die Türen zu.
    »Geh zum Teufel, Marcus, wo immer du bist, und laß mich in Frieden!« sagte sie laut.
    Sie wollte gerade die Schreibtischlampe ausmachen, da stieß sie einen Schrei aus, und ihr leeres Glas polterte auf den Boden: In der Ecke des Zimmers stand eine Frau.
    Für den Bruchteil einer Sekunde sah Kate ihr rotbraunes Haar, ihre beschmutzte, zerrissene, lange blaue Robe, und sie wußte, daß sie diese Frau irgendwo schon einmal gesehen hatte. Doch schon war sie wieder verschwunden. Zurück blieb nur der Geruch von Erde und dazu das übersüße, blumige Parfüm.
    Mit einem ätzenden Geschmack im Mund ging Kate rückwärts zur Tür, sie ging rückwärts hinaus in die Diele, die Augen auf die Stelle gerichtet, wo die Frau gestanden hatte. Sie glaubte nicht an Geister. Niemand, der bei Verstand war, glaubte an Geister. Nur im Scherz bei den Lindseys. Es war ihre Einbildung; sie hatte zu intensiv an die schwarze, stürmische Nacht draußen vor den Fenstern gedacht, und das hatte in ihrem Kopf dieses Gesicht hervorgerufen. Das war es. Wer hatte doch gesagt, daß wir alle verrückt sind in der Nacht? War es Mark Twain? Sie schüttelte den Kopf. Wer auch immer es gewesen war, er hatte recht.
    Oder war es der Whisky? Vielleicht hatte sie zu viel getrunken. Die halbleere Flasche war im Wohnzimmer, wo œ es œ gestanden hatte. Zu dumm. Doch sie konnte darauf verzichten. Sie lief die Treppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal, rannte ins Schlafzimmer und schlug die Tür zu. Sie zitterte noch immer, aber nicht so sehr, daß sie den viktorianischen Stuhl œ er war schwer, obwohl er hübsch und klein war œ nicht durch das Zimmer schleifen und unter dem Türgriff verkeilen konnte. Warum, o warum nur hatte sie nicht darauf bestanden, daß der Schlosser auch an ihrer Schlafzimmertür einen Riegel anbrachte?
    Erst als sie sich die Kleider vom Leib gerissen hatte und ins Bett getaucht war, wo sie sich sofort die Decke über den Kopf zog, fiel ihr ein, daß Geister auch durch Wände gehen können.
XXII
    Patrick saß in seinem Zimmer und grübelte. Die mathematische Formel, an der er gearbeitet hatte, ging nicht auf. Er hielt einen Augenblick lang inne, starrte vor sich hin und lauschte der lauten Musik, die aus Allies Zimmer den Gang herunter schallte. Obwohl zwei Türen dazwischen waren, dröhnte sie ohrenbetäubend. Er seufzte. Brüllen würde nichts nützen. Sie würde die Musik dann nur noch lauter machen. Eine Weile dachte er darüber nach, wie sie Greg dazu gebracht hatte, für einen neuen Kassettenrecorder zu blechen. Ihr Vater hatte gesagt, daß die Versicherung letzten Endes wohl zahlen würde. Warum hatte Greg dann das Geld so schnell rausgerückt? Er rätselte noch ein paar Minuten darüber, aber dann wanderten seine Gedanken zurück zu den Zahlen auf dem Bildschirm.
    Um ihn herum standen seine Bücher, die Buchrücken fein säuberlich aufgereiht, freundliche Kameraden im Halbdunkel. Das einzige Licht im Zimmer kam von der Schwebelampe über seinem Schreibtisch und vom Computerbildschirm. Er tippte ein paarmal auf die Enter-Taste und machte noch einen Versuch. Plötzlich drangen das entfernte Geräusch des Meeres, das Heulen des Ostwinds und der Regen, der an das Fenster prasselte, an sein Ohr.
    Der Bildschirm vor ihm zitterte. Er runzelte die Stirn und rieb sich die Augen. Ein Buchstabe war vom oberen Ende des Bildschirms nach unten gerutscht. Dann noch einer und noch einer.
    »O nein! Verdammte Scheiße!« Er starrte ungläubig auf den Bildschirm. »Bitte kein Virus! Kein verfluchtes Virus!«
    Mit angehaltenem Atem hackte er verzweifelt auf die Tasten, versuchte zu retten, was er erarbeitet hatte, aber der Bildschirm war bereits leer, und der Cursor bewegte sich zielgerichtet wieder nach oben, in die linke Ecke. Langsam erschien eine Botschaft.
    Mögen die Götter dich bis in alle Ewigkeit verfluchen, Marcus

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