Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
angespannt und ihr Gehirn noch zu aktiv, um zu schlafen. Das Kissen umklammernd, lag sie da und schaute zum Fenster hinaus, in die Schwärze des Himmels. Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen. Draußen, weit hinter dem Gras, schimmerte der Schlamm im Sternenlicht, als die Flut langsam über den salzigen Sand hereinkroch.
Es war schon hell, als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel. Und deutlich nach elf, als sie aus ihrem schlechten Traum hochschrak, denn im Zimmer nebenan ging plötzlich laute Popmusik los. Sie setzte sich langsam auf, schwenkte die Füße auf den Boden und rieb sich erschöpft das Gesicht mit den Händen. Als Johnny Rotten einen Moment lang innehielt, um Luft zu holen, konnte sie von unten das Geräusch eines Staubsaugers hören.
Zehn Minuten später ging sie nach unten. Sie hatte sich das Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen, das Haar gebürstet und sich Rock und Bluse von der letzten Nacht übergestreift. Die Hälfte des großen Wohnbereichs, die das Wohnzimmer bildete, war verlassen œ sogar die Katzen fehlten. Als sie durch die Eichenpfosten lugte, die den Raum teilten, sah sie, daß Roger allein am Küchentisch saß. Er las die Times. Das Geräusch des Staubsaugers hatte sich in den äußersten Winkel des Hauses verlagert. Er hob den Kopf und lächelte. »Wir haben Kaffee gemacht. Wie war‘s mit einer Tasse? Sie sehen aus, als ob Sie eine gebrauchen könnten.«
»Danke.« Sie setzte sich ihm gegenüber hin und fragte sich, wie es ihm gelungen war, so früh eine Zeitung aufzutreiben œ hier draußen wurde sie doch bestimmt nicht zugestellt. Aber dann erinnerte sie sich, wie spät es war. Es war schon fast mittag. Mehr Zeit als genug für jeden Gastgeber, um durch den halben Bezirk zu fahren und wieder zurückzukommen.
Er schob ihr eine Tasse hin, bevor er seine Zeitung zusammenfaltete, sie ordentlich neben seinen Teller legte und sich dann auf den Ellbogen nach vorn lehnte. »Ich hatte heute morgen ein langes Telefonat mit der Polizei. Seit sie drüber geschlafen haben, scheinen sie zu glauben, daß es doch Greg war, wie Sie das ja auch gedacht haben. Oder wenigstens, daß er dafür verantwortlich ist. Es gab keinerlei Zeichen für einen Einbruch, und er ist der einzige, außer Diana, mir und Ihnen natürlich, der einen Schlüssel zum Cottage hat.«
Kate starrte ihn an. »Aber er würde doch bestimmt nicht seine eigenen Bilder zerstören.«
Roger seufzte. »Manchmal läßt sich nur schwer sagen, was im Kopf meines Sohnes vorgeht, Kate. Oft glaube ich, er haßt sein Talent.« Er goß noch etwas Kaffee in seine Tasse. »Liebe Kate «
Er hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. »Ich würde es natürlich verstehen, wenn Sie sich dafür entscheiden sollten, lieber abzureisen, und selbstverständlich würde ich Ihnen die Miete zurückerstatten. Ohne Abzüge. Es ist mir furchtbar peinlich, was hier passiert ist. Aber falls Sie doch hierbleiben wollen -« Er zögerte. »Falls Sie trotz allem im Cottage bleiben wollen, schicke ich noch heute jemanden rüber, der die Schlösser auswechselt, und ich selbst würde dafür Sorge tragen, daß niemand außer Ihnen einen Schlüssel dafür hat, solange Sie dort wohnen. Ich kann mich gar nicht genug für all den Kummer entschuldigen, den Ihnen diese Geschichte verursacht haben muß.« Er lächelte. Er sah erschöpft aus. Sein Gesicht war blutleer unter der trockenen, papierdünnen Haut.
Kate streckte spontan die Hand aus und legte sie auf seine. Im Licht des Tages hatte sich ihre Furcht verflüchtigt. »Ich glaube, ich würde gern bleiben. Es ist so wunderschön hier, und mit meinem Buch komme ich auch so gut voran.« Sie sah zum Fenster, vor dem blaue Gingham-Vorhänge angebracht waren. »Natürlich kann ich das jetzt leicht sagen, wenn draußen die Sonne scheint und ich in einem Haus voller Menschen bin.« Sie schaute hinunter in die Tiefen ihres Kaffees. »Ich bin nicht sicher, wie ich mich im Dunkeln fühlen werde, wenn ich wieder allein bin.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Versuchen Sie es noch mal.« Er drehte seine Hand um, um einen Moment lang die ihre zu nehmen. »Sie können sich jederzeit umentscheiden. Und wenn Sie nervös werden, wissen Sie ja, daß wir ganz schnell da sein können. Einer von uns kommt immer, wenn Sie anrufen, das verspreche ich Ihnen.« Er stand auf. »Greg ist weggegangen. Kommen Sie, wir sehen uns seine Bilder an.«
Sie folgte ihm in das Arbeitszimmer, blieb dann aber in der Tür
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