Erstens kommt es anders ... (German Edition)
weiterschlafen. Und zwar so lange, bis er nach der obligatorischen halben Stunde wieder gehen durfte.
In Gegenwart kranker Menschen fühlte Michael sich immer unwohl, ihm lagen eher die gesunden und agilen. Die geschmacklose Demonstration all der ekelhaften Gebrechen, die man sich zeit seines Lebens zuziehen konnte, deprimierte ihn. Mit einer Krankenschwester hatte er äußerst wenig gemein, dieses Mädchen lieferte den lebendigen Beweis!
Lebend! Auch ein gutes Stichwort!
Weder war ihm ihr Fieber aufgefallen, noch, dass es ihr wirklich schlecht ging. Körperlich schlecht. Er war viel zu konzentriert auf sein Ziel gewesen, obwohl Michael nicht glaubte, dass der Sex in ihrem Zustand sehr atemberaubend ausgefallen wäre.
Dass Stephanie Grace noch lebte, war ein Wunder. Eine Erkenntnis, bei der er gleich noch etwas depressiver wurde. Ehrlich, der Gedanke, sie beinahe auf dem Gewissen gehabt zu haben, fühlte sich nicht unbedingt angenehm an. Sie jetzt krank zu sehen, verzögerte den Verdrängungsprozess und zwang ihn, von Neuem darüber nachzudenken, wenngleich er gerade das tunlichst vermeiden wollte.
Wenigstens schien es, als würde Stephanie ihm den Gefallen tun und nicht aufwachen. Auch wenn sie selbst im Schlaf die Gelegenheit nutzte, ihn eindeutig über die Realitäten aufzuklären. Keine zwei Minuten, nachdem er sich gesetzt hatte, wandte sie ihm den Rücken zu.
Fein! Verstanden! Er würde es sich hinter die Ohren schreiben!
Auf der Suche nach Ablenkung sah Michael sich in dem kleinen Zimmer um. Hier gab es so gut wie nichts, Dianas hatte keineswegs übertrieben. Immerhin warm war es – jetzt jedenfalls. Aber an jenem Montag, als seine Schwester zum ersten Mal hier aufgetaucht war, herrschten eisige Temperaturen. Keine Heizung, Stephanie mochte es wohl kalt.
Passte irgendwie.
Stirnrunzelnd bemerkte er, dass ihr schmaler, knochiger Rücken freilag und beschloss nach einigem Zögern, das wohl besser in Ordnung zu bringen. Während er die Decke wieder über ihren Körper legte, fiel sein Blick auf ihren Pyjama. Viel Ahnung von Frauenkleidung im Allgemeinen besaß Michael nicht, dafür kannte er sich mit weiblicher Nachtwäsche aus. Dieses exquisite Exemplar hatte mindestens zweihundert Dollar gekostet, wenn nicht mehr. So verhielt sich das also? Miss Ich-hungere-und-friere-mich-zu-Tode investierte ihr Geld lieber in ausgefallene, kostspielige Kleidung als in etwas Nahrhaftes oder eine Heizung, ja?
Genial!
Irgendwann wachte sie auf und es gelang ihm tatsächlich, zu übersehen, wie schmal sie im Gesicht geworden war.
Von über dem Kopfkissen ausgebreitetem Haar konnte auch keine Rede sein, es wirkte eher strähnig und ungepflegt. Gut, denn das bewahrte ihn vor unliebsamen Gedanken, welche ihm übrigens noch kein einziges Mal gekommen waren, seitdem er hier saß. Anscheinend gehörte seine Vernarrtheit wirklich der Vergangenheit an. Michaels Lächeln war offen und half ihr über die Verlegenheit hinweg. Und als er nach einer Viertelstunde ging, fühlte er sich wieder ausnehmend gut. Damit war wohl seine Pflicht und Schuldigkeit getan, oder?
Oder?
Mit einem dumpfen Knall landete Michaels Faust auf seinem Schreibtisch.
»Hören Sie, ich bin ihr Arbeitgeber«, knurrte er in den Hörer. »Sie werden mir doch wohl eine Auskunft ...«
»Ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Das sollte Ihnen eigentlich bekannt sein, Dr. Rogers.«
Dessen Miene war längst von jenem bemerkenswerten Eis gezeichnet, dass man ab und an im Gerichtssaal bewundern durfte, wenn sich ein Zeuge der Gegenseite besonders dumm anstellte. »Die Gesetzeslage ist mir durchaus vertraut. Ich erwarte keinen umfassenden Bericht über Miss Grace Krankengeschichte. Was ich will, sind lediglich einige allgemeine Auskünfte.«
Hörbar holte Dr. Burn Luft, doch als er sich zu einer verbalen Antwort herabließ, klang er gelangweilt. »Und welche allgemeinen Auskünfte wären das im Einzelnen?«
Schon lächelte Michael, wieder ganz sein charmantes Selbst. »Folgendes ...«
März und April gehörten längst der Geschichte an, inzwischen hielt der Mai das Zepter in der Hand. Allerdings ließ sich die Frühlingssonne kaum einmal blicken. In diesem Teil des Landes kam sie später und ging früher. Doch das hatte Michael nie gestört. Egal, ob nun im Büro oder im Gerichtssaal, Sonne fand man dort weder im Sommer noch im Winter. Um davon zu tanken, verbrachte der Anwalt zweimal im Jahr vierzehn Tage in der Karibik.
Es war Montag. Wieder saß
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