Erstens kommt es anders ... (German Edition)
er hinter seinem Schreibtisch und wartete. Aufregung empfand er diesmal keine, auch Nervosität meldete sich nicht, wenn überhaupt, verspürte er eine gewisse Erleichterung. Einfach waren die vergangenen Wochen auch für ihn nicht verlaufen. Auf eine Vertretung für Stephanie hatte er verzichtet, der Aufwand war ihm nicht gerechtfertigt erschienen. Außerdem hätte ihn der Anblick einer fremden Person in ihrem Stuhl nur verwirrt und aus dem Konzept gebracht.
Da schrieb er seine Briefe lieber selbst, was natürlich bedeutend mehr Zeit in Anspruch nahm. Beim Tippen stellte er sich nämlich ärgerlich dämlich an, musste jeden zweiten Buchstaben ewig lange suchen, und nahm immer die falschen Satzzeichen, weil er sich deren Standort auch nicht merken konnte. Dessen ungeachtet hatte er die Zeit genutzt, um intensiv über seine Gespräche mit Diana und Dr. Burn nachzudenken. Michaels Schlussfolgerungen fielen recht interessant aus.
Bevor sie heute – an ihrem ersten Arbeitstag nach vier Wochen – zur Tagesordnung übergingen, würde er mit Stephanie noch einige grundlegende Dinge klären. Und diesmal wartete er auch nicht erst, bis sie sich setzte. Bereits bei ihrem etwas schüchternen »Guten Morgen, Sir!«, stand er und trat zu ihr hinüber ins Vorzimmer. Ihre Reaktion fiel derart entsetzt aus, dass er zwangsläufig an ihr vorletztes Aufeinandertreffen erinnert wurde. Und das, wo er bisher jeden Gedanken daran tunlichst vermieden hatte, verdammt! Mühsam beherrscht reichte er ihr die Hand. »Guten Morgen, Miss Grace. Wie geht es Ihnen?«
Aus Entsetzen wurde Argwohn. Zögernd nahm sie seine Hand und ließ sie nach zwei Sekunden wieder los.
Ja, Himmel! Fürchtete sie ernsthaft einen Überfall? Das hatte er wirklich nicht nötig! Flüchtig tauchte Ninas Bild vor seinem geistigen Auge auf. Jene schlanke, wundervoll gebaute Frau, die sich nackt auf ihm bewegte, ihre langen Beine fest um ihn geschlungen, derweil sie ihn mit großen, feuchten Augen betrachtete. Die Wirkung setzte sofort ein, Michaels Lächeln geriet durchaus sympathisch und arglos. »Nun?«
Es funktionierte, auch ihre Mundwinkel verzogen sich ein wenig nach oben. »Danke, es geht mir gut.«
»Das freut mich außerordentlich.«
Was ihre Miene sogar noch offener werden ließ, während sein Lächeln soeben vollständig verschwand. Er zog den Stuhl zurück und ignorierte verbissen ihren Ausfallschritt nach hinten. »Setzen!«
Aufmerksam begutachtete sie seinen Gesichtsausdruck und nahm schließlich Platz, ohne den wachsamen Blick von ihm zu nehmen. Nachdem Michael den Stuhl vor ihrem Schreibtisch eingenommen hatte, musterte er den interessanterweise gesenkten Kopf. »Zahle ich Ihnen zu wenig. Miss Grace?«, erkundigte er sich nach einer sehr langen Kunstpause.
Prompt sah sie auf. »Nein, Sir!«
»Fein!«, nickte er. »Helfen Sie mir ein wenig auf die Sprünge. Zum einen hätte ich gern gewusst, weshalb Sie in diesem abgehalfterten Mantel durch die Gegend rennen!«
Eine Antwort erhielt er nicht. Nicht das geringste Erbarmen stellte sich bei ihm ein. Ihretwegen hatte er sich verdammt schuldig gefühlt! Wenn auch nur vorübergehend. Doch Dianas Vorwürfe hallten ihm jetzt noch in den Ohren! Das schrie nach Rache.
»Kürzlich führte ich ein äußerst aufschlussreiches Gespräch mit Dr. Burn ...« Mit Genuss weidete er sich an ihrem entsetzten Blick. So ist es richtig, Stephanie, nur zu!
Nachdenklich nahm er einen Kugelschreiber vom Tisch und betrachtete ihn aufmerksam. Schwerlich vorstellbar, dass er ein derartiges Wunderwerk der Moderne zuvor bereits in Händen gehalten hatte. »Er teilte mir mit, dass Ihre Erkrankung auf Ihre desaströse körperliche Verfassung zurückzuführen sei. Ihr Immunsystem sei stark angegriffen gewesen.« Erst jetzt sah er auf. Inzwischen wirkte sie recht bleich. Sehr schön. »Sie wären viel zu dünn. Augenblick ...« Mit geschlossenen Lidern gab er vor, zu überlegen und es dauerte wieder sehr lange, bevor er sie ansah. » Extreme Unterernährung! So lautete die korrekte Bezeichnung. Möglicherweise gelingt es Ihnen, meine Verwirrung nachzuvollziehen und darüber hinaus sogar zu zerstreuen. Können Sie mir eventuell erklären, weshalb meine Assistentin nicht in der Lage ist, sich von ihrem Gehalt anständig zu ernähren?«
Beharrlich starrte sie auf die Tischplatte. Eine weise Entscheidung fand Michael.
»Heizung? Bekleidung adäquat zur vorherrschenden Witterung?« Trocken lachte er auf. »Also, das mit der Wärme in
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