Erstens kommt es anders ... (German Edition)
den eigenen vier Räumen und möglichen Lebensmitteln könnte ich ja noch verstehen. Alles Luxus, wer muss schon regelmäßig essen? Aber dass Sie auch auf Kleidung verzichten, verwundert mich. Wo Sie offensichtlich so viel Geld in exquisite Nachtwäsche investieren.«
Augenblicklich riss sie die Augen auf, ihre Wangen färbten sich in Blitzgeschwindigkeit rot.
»Ich muss leider darauf bestehen, dass Sie ab sofort ihrer Gesundheit mehr Bedeutung beimessen«, fuhr er ungerührt fort. »Jeder Tag, den Sie aufgrund von Krankheit fehlen, kostet mich Geld.«
Schuldbewusstsein zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Fein!
»Meine Kanzlei kann sich einen derartigen Ausfall nicht leisten. Haben Sie das verstanden?«
Nach einem Moment brachte sie ein dünnes »Ja, Sir!«, zustande.
Ohne den Hauch eines Lächelns nickte er. »Schön! Dann wäre das ja geklärt.« Und damit stand Michael Rogers auf und ging in sein Büro.
Doch die Tür ließ er offen stehen.
* * *
G ern hätte Stevie ihrem Chef die eine oder andere Wahrheit erzählt, denn seine Vorwürfe waren nicht fair. Ja, sie besaß extravagante Wäsche. Schließlich hatte sie vor nicht allzu langer Zeit noch zu den Wohlhabenden der Welt gezählt. Mr. Frauenschwarm hätte sich gewundert, was für ein Arsenal an Kleidung in dem kleinen Häuschen in Tillamook vor sich hingammelte. Bei ihrem Auszug hatte sie es zurückgelassen. Kein Bedarf. Für die Arbeit benötigte man selten Ballkleider oder Designerjeans. Sein Verdacht, sie würde ihr so hart verdientes Geld für teure Fummel aus dem Fenster werfen, anstatt sich ein warmes Zimmer zu gönnen, war so mies – und so logisch.
Was sollte er auch sonst denken? Allerdings ließ ihr Stolz es nicht zu, ihn umfassend über die Realitäten aufzuklären. Außerdem ging es ihn nichts an. Dennoch hatte er damit einen wunden Punkt angesprochen, den sie nicht ignorieren durfte. Schließlich zahlte er ihr ein anständiges Gehalt, was sie zumindest verpflichtete, für ihre Gesundheit zu sorgen. Diese Erkenntnis trieb sie in ungeahnte Gewissenskonflikte, nicht zuletzt machten sich zunehmende und ziemlich grauenhafte Zukunftsängste in ihr breit. Denn Stevie wusste ehrlich nicht, wie sie an der derzeitigen Situation etwas ändern konnte.
Sie hatte dieses Wiedersehen gefürchtet, hätte gern gekündigt, wenn eine Alternative verfügbar gewesen wäre. Sein widerliches Angebot war keineswegs vergessen, leider hatte die Meningitis nämlich nicht für eine partielle Amnesie gesorgt. Zurück in dieses Büro und damit zu ihm zu gehen, hatte Stevie einiges abverlangt.
Wie er reagieren würde … nun, die Überlegung war sowohl utopisch wie auch fruchtlos gewesen, denn Stevie hatte nicht die geringste Vorstellung. Trotzdem sie aufgrund strenger Bettruhe wochenlang genau darüber nachgegrübelt hatte.
Doch mit einem derartigen Empfang hätte sie als Allerletztes gerechnet.
Kein Wort fiel an ihrem ersten Vormittag nach vier Wochen Abwesenheit in der Kanzlei. Nicht einmal zum ‚Diktat’, wurde sie gerufen. Obwohl das eindeutig zu Michael Rogers Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Er sah auch nicht zu ihr und das war mit Sicherheit eine ganz neue Erfahrung. Als es zwölf wurde, zog sie ihren Mantel über und wollte gehen. Mit deutlicher Erleichterung, denn die dicke Luft schlug ihr ziemlich aufs Gemüt.
Ein herrisches »Stopp!« hielt Stevie jedoch zurück. Bereits den Türknauf in der Hand schloss sie die Augen und zählte langsam bis zehn. Dann wandte sie sich um und musterte ihn argwöhnisch.
Seine Miene war wie so häufig unlesbar. »Den Mantel dürfen Sie ausziehen. Sie werden den Lunch mit meiner Familie und mir einnehmen.«
Das belebte Stevies Stimmbänder innerhalb von Lichtgeschwindigkeit. »Danke, dieses Angebot möchte ich lieber ablehnen!« Diesmal beeilte sie sich mit dem Türöffnen. Aber bevor das dämliche Ding weit genug aufgehen konnte, um ihre Flucht überhaupt zu ermöglichen, drängte er sich dazwischen und schob sie wieder zu.
»Das war keine Bitte!«, informierte Rogers sie, immer noch frostig. »Bis zu Ihrer vollständigen Genesung sind Sie beim Lunch unser täglicher Gast. Ich habe keineswegs die Absicht, ein Risiko einzugehen.« Damit lehnte er sich gegen die Tür, verschränkte die Arme und betrachtete sie ausdruckslos.
Nach kurzer Bestandsaufnahme seiner Miene sah Stevie ein, dass ihr keine Wahl blieb. Seufzend entledigte sie sich ihres Mantels, ärgerte sich, weil sie dabei rot anlief, und musterte ihn
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