Erstens kommt es anders ... (German Edition)
wieder ein wenig Zeit mit dir verbringen und erfahren, wer du in Wahrheit bist. Ohne Verpflichtungen, ohne irgendetwas, was darüber hinausgeht.« Mit jedem neuen Wort war ihr Blick spöttischer geworden, doch er ignorierte es. »Warum gibst du mir nicht die Chance, zu beweisen, dass ich hier ohne jeden Hintergedanken sitze?« Er hob eine Augenbraue. »Oder hast du Angst, du könntest dich zu Dingen hinreißen lassen, die du ja angeblich strikt ablehnst?« Der Spott verschwand und ihre Miene wurde bissig.
Volltreffer! , dachte er und verbiss sich ein Grinsen.
Schweigend starrte sie vor sich hin und sah ihn erst nach etlichen Minuten wieder an. Flüchtig. »Das ist keine Basis, um miteinander zu arbeiten!«
Leise lachte er auf. »Man darf also nicht befreundet sein, wenn man ...«
»Nein!«
»Okay«, sagte er. »Dann einigen wir uns auf zwei Stunden die Woche. Das wäre nur fair. Zwei Stunden Michael und Stevie. Ansonsten gilt die Rogers-und-Miss-Grace-Geschichte.«
Verächtlich schnaubte sie auf. »Erkläre mir bitte, welchen Sinn das haben soll!«
»Demnach haben Freundschaften für dich also keinen Sinn?«
»Du weißt genau, wie ich es meine!«
»Nein, um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht!«
»Ich bin nicht blöd!«, fauchte sie. »Meinst du ehrlich, ich hätte nicht längst durchschaut, was du planst?«
»Selbst wenn es so wäre, könnte es dir doch egal sein. Deine Entscheidung steht fest.« Nach kurzem Zögern fügte er etwas verhaltener hinzu. »Du hast dir ein falsches Bild von mir gemacht. Ausschließlich aufgrund meines unangemessenen Verhaltens, das ist mir bewusst. Ich möchte, dass du deine Ansicht revidierst. Gib mir die Chance, dir zu beweisen, dass du dich geirrt hast. Zwei Stunden, Stevie. Mehr nicht! Was würdest du denn riskieren, außer, mit mir ein wenig Zeit zu verbringen und dich vielleicht vom grauen Alltag abzulenken? Wäre das wirklich so schlimm?«
Nach einer halben Äone sah sie ihn an. Und als er ihren Blick erwiderte, fixierte Stevie ihn für die nächste halbe Unendlichkeit. Schließlich seufzte sie. »Nein.«
»Heißt das, ja?«
»Ja.«
Lächelnd neigte er den Kopf zur Seite. »Genial.«
Anstatt zu antworten, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Häusern zu, in dessen Fenstern nach und nach die Lichter gelöscht wurden. Auch Michael konzentrierte sich auf dieses unglaublich faszinierende visuelle Schauspiel.
»Woran ist deine Mom überhaupt erkrankt?«, erkundigte er sich nach einer Weile.
Mit ihrer freien Hand und einem zusammengekniffenen Auge nahm sie Maß an einem der Fenster … Aus welchem Grund auch immer. »Sie hat den Tod meines Vaters nie verwunden. Oder unseren Bankrott oder beides. Was weiß ich? Sie nimmt Tabletten ...«
»Das ist übel.«
»Und wie es das ist, vertrau mir.«
Inzwischen vereinzelten sich die erleuchteten Fenster rasant.
»Was wirst du tun?«
Entmutigt hob sie die Schultern. »Gar nichts! Es gibt keine Lösung.«
Ärgerlich verdrehte Michael die Augen. »Erzähl mir keinen Mist, dagegen kann man doch etwas unternehmen! Eine Ent...«
»...ziehungskur, ja, diese Möglichkeit ist mir bekannt, stell dir vor! Die Ärzte werden nicht müde, mir genau das immer wieder dringend anzuraten.«
»Und?«
Als sie nur seufzte, stöhnte Michael auf. »Klasse!«
»Ja!«
»Ich könn...«
Zum ersten Mal machte Stevie Anstalten, ihre Hand aus seiner zu ziehen, es gelang ihm gerade noch rechtzeitig, das Schlimmste zu verhindern, indem er seinen Griff verstärkte. »Du hast es versprochen!«, zischte sie.
»Schon gut!«
»Dann belasse es auch dabei!« Nach einem nächsten sehr langen drohenden Blick widmete sie sich erneut dem fantastischen visuellen Schauspiel.
An diesem Abend fiel kein weiteres Wort zwischen ihnen. Die herbstliche Atmosphäre ließ die beiden nicht unberührt. Jene Melancholie, die immer dann von den Menschen Besitz ergreift, wenn sich ein Jahr dem Ende zuneigt, die Natur sich zur Ruhe legt und all das motivierende Grün aus unserer Welt verschwindet, verübte zeitgleich auf Stevie und Michael den üblichen, folgenschweren Anschlag.
Ihr Atem erhob sich in hellen Wolken aus ihren Mündern, während sie Hand in Hand auf der Bank saßen, visuellen Schauspielen frönten und schwiegen. Erst, als die zwei Stunden vorüber waren, sah Stevie Michael wieder an.
»Ich muss los. Mein Bus.«
Entschieden schüttelte er den Kopf. »Du kannst mich meinetwegen köpfen, das ist mir gleich. Wir sitzen hier seit zwei Stunden, mir ist
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