Erstens kommt es anders ... (German Edition)
diesbezüglich kannte Stevie sich bestens aus.
Soweit sie sich erinnerte, klopfte zum ersten Mal jemand an diese Tür. Bianca besaß einen Schlüssel, Mrs. Gossip auch und weitere Besucher erschienen nicht.
Zaghaft blickte sie durch den Spion und sah einen älteren Herrn, der ratlos die etwas abgeblätterte Farbe im Hausflur musterte. Sah aus wie ein Vertreter. Fein, genau der fehlte Stevie noch zu ihrem Glück. Nachdem ihr bissigstes, grässlichstes Piranhalächeln ihre Lippen schmückte, riss sie die Tür auf und bellte: »Ja?«
Der ältere Herr neigte höflich und relativ unbeeindruckt den Kopf. »Guten Tag, mein Name ist Draper. Ich bin Mitarbeiter des Sozialamtes.« Stevies Augen weiteten sich vor Entsetzen. Hastig, ohne wirklich auf seinen Ausweis zu sehen, komplimentierte sie ihn hinein. Es musste ja nicht jeder erfahren, dass jetzt schon die Behörden bei der Familie Grace verkehrten.
Kurz darauf saßen sie im Wohnzimmer und jener freundliche, reichlich verlogene Kerl erklärte, er sei für ein Sozialprogramm zuständig, das sich der Unterstützung sozial schwach gestellter Menschen widme. Dr. Fisher, Mrs. Grace‘ behandelnder Arzt habe ihn informiert, dass in deren Falle wohl die entsprechende Bedürftigkeit vorliege.
Draper oder wie der ältere, total verschlagene Kerl in Wahrheit hieß, senkte ein wenig die Stimme. Ob er vertraulich werden dürfe? Mechanisch nickte Stevie. In Gedanken ermordete sie Michael zu diesem Zeitpunkt zum dritten Mal - äußerst grausam übrigens.
Der ältere, verlogene Herr bemerkte nichts von der lauernden Gefahr. Mit einem Mal kam er richtig ins Schwärmen. Über das tolle staatliche Entzugsprogramm, das zwar auch Kosten verursache, aber bei Weitem nicht die ausufernden Gebühren einer privaten Entzugsklinik erreiche.
Ob denn Stevie bereits eine Krankenpflege in Betracht gezogen habe? Tagsüber, während sie ihrer Tätigkeit nachging? Das Sozialamt biete da examinierte Kräfte zu äußerst moderaten Preisen.
Je länger er schwafelte, desto wütender wurde Stevie. Als er ihr zum Abschied schließlich wie der Weihnachtsmann seine Visitenkarte überreichte, fegte sie ihm das gefälschte Ding schwungvoll aus der Hand. Ihr Piranhalächeln war zwischenzeitlich zu einem ausgewachsenen Haifischgrinsen mutiert. Und spätestens jetzt schien auch dem älteren, ziemlich verlogenen Herrn aufzugehen, dass Stevie Grace nicht in bester Stimmung war.
Erbost warf sie hinter ihm die Tür ins Schloss und widmete sich ihrer Mutter, die inzwischen die Zeit genutzt hatte, um ihren gesamten Mageninhalt von sich zu geben.
Und weil Stevie nicht schnell genug reagiert hatte, durfte sie nicht nur das Bett neu beziehen und Vanessa ein weiteres Mal waschen, sondern auch noch den Teppich vor dem Bett reinigen. Mrs. Grace hatte nämlich versucht, die Sauerei allein zu beseitigen. Der Erfolg dieser Aktion erwies sich als eher mäßig.
Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass Stevie in höchstem Maße und von ganzem Herzen stinksauer war.
Dass Michael den Montagmorgen überlebte, lag an dessen Abwesenheit.
Die Verhandlung ging in die nächste Runde, daher fuhr er sofort ins Gerichtsgebäude, ohne zuvor in der Kanzlei vorbeizuschauen. Auf der Suche nach Indizien gegen den Staranwalt begann Stevie, ein wenig im Internet zu surfen. Das Ergebnis ihrer erfolglosen Recherche nach dem angeblichen Sozialprojekt würde sie ihm achtkantig um die Ohren ...
Ihre Augen wurden groß, als sich bereits beim ersten Versuch eine grausam gestaltete, daher eindeutig staatlich gesponserte Seite öffnete. Es handelte sich um die Homepage des Sozialamtes im Verwaltungsdistrikt Portland.
Mittlerweile ehrlich verblüfft und nicht mehr ganz so mordlüstern suchte sie weiter. Und zu ihrer grenzenlosen Überraschung fand sie alles:
Die vom Staat subventionierten Pflegekräfte und auch das Entzugsprogramm, von dem der ältere, überhaupt nicht verlogene Herr gesprochen hatte.
Und dann vergaß Stevie vorübergehend alles: Die Kanzlei, Briefe, die dringend getippt werden mussten, Akten, Sorgen, Müdigkeit, ihre Mom ... Michael.
In der folgenden Stunde telefonierte sie.
Zwei Dinge trafen beinahe zeitgleich ein:
Winter und Dezember.
Die Weihnachtszeit hielt Einzug, mit all dem Trubel für die Händler und deren Kunden. Was bedeutete, dass sich der Alltag in der Kanzlei vergleichsweise ruhig gestaltete. Beschäftigen sich die Menschen mit dem verzweifelten Versuch, ihren letzten Cent für Ramsch jeder Art auszugeben,
Weitere Kostenlose Bücher