Erstens kommt es anders ... (German Edition)
streichelte sie seine Schulter. »Das stimmt, schätze ich. Aber ich finde, es gibt Dinge, mit denen musst du ja nicht unbedingt leben. Ich kümmere mich darum.« Ihre Lippen berührten seine unrasierte Wange. »Lass dir nicht zu viel Zeit.«
Damit verließ ihre Hand seine Schulter und kurz darauf war er allein.
Wie leider so häufig behielt seine Schwester recht.
Nicht auszumalen, wie diese Beerdigung ohne Stevie verlaufen wäre. Auch wenn er jeden Blick zu ihr tunlichst vermied. Es schmeckte Michael überhaupt nicht, derart süchtig nach einem Menschen zu sein. Das fühlte sich übrigens besonders vernichtend an, weil die betreffende Person so gar keine Lust verspürte, bei ihm zu sein. Er hoffte, auch dieses Problem in naher Zukunft aus der Welt schaffen zu können. Nicht, dass seine Liebe zu ihr verschwand. So dämlich war nicht einmal er. Aber er würde versuchen, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien, jene verdammte Sucht zu überwinden, die er ohne es zu bemerken nach ihr entwickelt hatte. So konnte er unmöglich weiterleben. In wenigen Jahren war er vierzig, und ihm widerstrebte der Gedanke zutiefst, plötzlich so schwach und angreifbar zu sein.
Noch nie hatte Michael zu den Träumern gehört, er lebte immer in der Realität, nun, in seiner. Von Stevies wusste er ja laut deren Aussage überhaupt nichts. Derart aus den Fugen zu geraten, passte nicht zu ihm. Das würde er jetzt hinter sich lassen. Keine blödsinnigen Spiele mehr, die selbst einem Teenager schlecht zu Gesicht gestanden hätten.
Er war ein Mann, der sie wollte! Entweder, sie erwiderte seine Gefühle oder sie tat es eben nicht. Mit beiden Alternativen würde er leben müssen. Ende!
Den Tag der Beisetzung überstand Michael einigermaßen gut und befand sich bei der Testamentseröffnung in Gedanken bereits jenseits der Stadt. Deshalb traf ihn der Clou seines Vaters relativ unvorbereitet.
Erst jetzt verstand er, was Diana gemeint hatte. Oh ja, sein alter Herr musste etwas von seinem nahenden Tod geahnt haben, ansonsten hätte er nicht so spontan gehandelt. Wann hatte er sein Testament geändert?
Diese Frage würde ihn in den kommenden Wochen verfolgen. Es schien vergleichsweise unwichtig, aber das traf ganz gewiss nicht zu. Wann genau hatte Victor Rogers beschlossen, Stevies und Michaels Schicksal auf Gedeih und Verderb miteinander zu verbinden? Zu welchem Zeitpunkt entschied er, auf die ihm so eigene, hinterhältige Weise dafür zu sorgen, dass keiner den anderen so einfach vergessen konnte? Das klang wie ein schlechter Witz.
Erst hier, an diesem langen Tisch, wurde Michael bewusst, dass aber auch wirklich alles aus seinen Löchern gekrochen war, was genetisch zufällig einmal an einem Rogers vorbeigelaufen sein mochte.
Personen, die er nicht kannte, nie zuvor gesehen hatte, stellten sich ihm mit ‚Cousine Mary‘ oder ‚Nichte Esther‘ vor.
Alle wurden bedacht, Victor erwies sich selbst noch post mortem als unkalkulierbar. Offenbar – wenigstens deutete momentan alles darauf hin – würde Michael für ein ziemliches Inferno sorgen, wenn er mal das Zeitliche segnete. Denn von all den Parasiten hätte er keinen einzigen begünstigt. Entfernte er alles von den sogenannten Verwandten, die in seinem Denken nicht existierten, dann würden sie einen verdammt kleinen Tisch benötigen. Und es interessierte ihn einen Dreck, wie man wohl darauf reagierte.
Sollten sie ihn doch hassen! Wie gern wurde er gehasst, besonders von derartigen Schleimern. Stevies Erzählungen von den scheinheiligen Freunden kamen ihm erneut in den Sinn. Oh ja, er wollte sich gar nicht ausmalen, wie die versammelte Mannschaft wohl reagieren würde, wären die Rogers plötzlich verarmt.
Immer wieder irrte sein Blick zu ihr. Er konnte es nicht verhindern, denn sie bildete seinen Ruhepol. Ihre Anwesenheit hinderte ihn daran, das gesamte Erbschleicherpack eigenhändig und auf der Stelle aus dem Haus zu werfen.
Nachdenklich betrachtete er ihren gesenkten Kopf, vom Gesicht sah man nur die Stirn. Dabei zollte er Diana unendliche Dankbarkeit, dass sie sich ihrer angenommen hatte. Er wäre dazu nicht in der Lage gewesen, und das hätte Stevie verletzt. Michael war nicht rachsüchtig oder wollte ihr vorsätzlich wehtun. Nichts lag ihm ferner. Momentan konnte er bloß nicht mit ihr sprechen.
Mit seiner ewig triefenden Stimme verlas Birch weiter Victors Meisterstück und Michael zollte seinem Dad widerwillig Respekt. Okay, das hatte er schon immer, und wenn nicht gerade
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