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Erstens kommt es anders ... (German Edition)

Erstens kommt es anders ... (German Edition)

Titel: Erstens kommt es anders ... (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kera Jung
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hätte sie ihren Job aufgeben können. Selbst das Argument, Michael dann nicht mehr zu Gesicht zu bekommen, war halbseiden. Denn der Senior hatte ja sehr umsichtig dafür gesorgt, dass sie sich nicht aus den Augen verlieren konnten. Die Wahrheit sah etwas anders aus, und Stevie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als sie Diana zu beichten.
    Ging sie, kam eine Neue. Und wie die aussehen würde, oh, also da gab Stevie sich keinen Illusionen hin. Ganz bestimmt würde sie nicht ihren Stuhl räumen, damit sich Michael seine nächste Bettgeschichte direkt vor die Nase setzte. Mit Sicherheit nicht!
    Die Alternative, nämlich weiterhin mit Michael zu arbeiten, gestaltete sich leider auch nicht gerade berauschend. Pünktlich nach vierzehn Tagen wurden die Betriebsferien als beendet erklärt. Doch der jetzt anwesende Michael Rogers war ihr bisher unbekannt gewesen. Weder mimte er den aufbrausenden Chef, noch den Mann, der sie ständig betrachtete, als wäre sie eine Tafel Schweizer Schokolade mit Sahnehäubchen. Auch ihr Michael, der ohnehin nur selten im Büro aufgetaucht war, weilte derzeit nicht im Hause. In Wahrheit wirkte er plötzlich fremd. Keine Lunchtüte, kein Lächeln, wenn sie ihm einen ‚Guten Morgen’ wünschte und auch nicht, wenn sie sich zur Nacht verabschiedeten.
    Längst wartete sie nicht mehr freitags auf ihrer Bank. Er würde nicht kommen, inzwischen hatte sie es einsehen müssen. Michael hatte sie aufgegeben.
    Und das war gut so, oder?
    Drei Wochen lang versuchte sie sich einzureden, dass dies ganz genau dem entsprach, was sie doch eigentlich immer erreichen wollte.
    Genau das hatte sie von ihm verlangt. Genau genommen richtete er sich zum ersten Mal tatsächlich nach ihren Wünschen. Und sie konnte ja nicht behaupten, dass er sie ignorierte. Michael sprach wie immer mit ihr, sie unterhielten sich über die laufenden Fälle, stundenlang diktierte er ihr Briefe, ihre Besprechungen über die Stiftung gestalteten sich engagiert und ausufernd ...
    Doch persönlich wurde er nie. Auch sein Lächeln erreichte nicht die Augen. Und sein Ton klang immer eine Spur zu gelassen, als dass es zu dem Mann passte, den sie lange Zeit zu kennen geglaubt hatte. Vielleicht verhielt es sich aber auch so, dass Stevie sich daran gewöhnt hatte, anders von ihm behandelt zu werden, als die übrigen Mitmenschen.
    Und obwohl sie sich einredete, dass es so richtig war, half ihr das nicht über die einsamen Abende hinweg, die sie noch immer an jedem Tagesende erwarteten. In der Zwischenzeit durfte sie ihre Mutter zwar im Sanatorium besuchen, jedoch bloß einmal wöchentlich und auch nur für eine Stunde. Nicht viel und mit Sicherheit nicht genug, um ihr über die vielen verbliebenen einsamen Minuten allein hinwegzuhelfen. Die bargen in sich nämlich eine riesige Gefahr.
    Man begann, zu grübeln.
    Stevie litt unter Michaels Ignoranz wie ein Hund!
    Allerdings brachte sie es nicht fertig, sich einzugestehen, weshalb sie sich jeden Abend in den Schlaf heulte. Der sonnenlose und verregnete April kam mit abendlichen Tränen und ging auch mit ihnen. Doch in der zweiten Maiwoche traf er endlich ein:
    der lang ersehnte Frühling. Ein erster Lichtschimmer nach Monaten in der totalen Dunkelheit.
    Eines sonnigen Morgens stand sie vor dem Spiegel und überlegte, ob es für den ersten heiteren und nach allem, was der Himmel derzeit versprach, warmen Frühlingstag nicht angebracht wäre, das Haar offen zu tragen.
    Am nächsten Morgen entschied sie ganz spontan, dass etwas Lidschatten noch nie geschadet hatte. Lippenstift übrigens auch nicht. Kaum hatte sie ihr Gesicht mit ein wenig Farbe aufgehellt, schien sich der Frühling auch in ihrem Innern auszubreiten. Plötzlich fühlte sie sich ausgelassen, fröhlich, fast befreit.
    Ein unvorstellbar aufbauendes Gefühl.
    Und auch Michael hatte sich anscheinend endlich gefangen. Sein Blick wirkte nicht länger ganz so eisig. Hin und wieder brachte er sogar ein ehrliches Lächeln zustande, und manchmal, ab und an, tauchte selbst er auf: der Ton, den sie so vermisst hatte. Was auch immer dafür verantwortlich war, eines ließ sich nicht leugnen: Zum ersten Mal seit Jahren begrüßte Stevie ausgelassen und fröhlich den Frühling.
    Egal, in welcher Identitätskrise er sich gerade befand, Michael vernachlässigte niemals die Diktate. Er frönte ihnen nach wie vor, und zwar mit wachsender Begeisterung – so schien es zumindest. Je wärmer es wurde, desto öfter saß Stevie vor seinem Schreibtisch und nahm

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