Erstens kommt es anders ... (German Edition)
Internet war es Michael gelungen, eine Webseite erstellen zu lassen, die verdammt nach staatlicher Tristesse aussah.
Der Krankenschwester war es zu verdanken, dass Vanessa Grace langsam wieder zu Kräften kam. Dr. Fishers etwas modifizierte Behandlung machte sich hierbei mit Sicherheit auch nicht negativ aus. Durch Michaels finanzielle Unterstützung konnte er auf Medikamente zurückgreifen, deren Nebenwirkungen nicht halb so verheerend ausfielen, wie die der Mittel, die Vanessa bisher genommen hatte. Ihre Sucht wurde bedient und dennoch wirkte sie wacher, agiler, nicht mehr total benebelt.
Ähnlich hatte es sich mit der Klinik in Castle Rock verhalten.
Die beiden Männer hatten sich darauf verständigt, eine geringe Wartezeit zu fingieren, damit Stevie am Ende nicht doch argwöhnisch wurde. Keine Sekunde lang hatte Michael in Betracht gezogen, Vanessa Grace in einer staatlichen, chronisch unterfinanzierten Entzugsklinik behandeln zu lassen.
Dr. Fisher hatte ihm versichert, Vanessa durchaus noch vier weitere Wochen bei relativ guter Konstitution halten zu können. So kam es, dass sie erst Ende Januar im Sanatorium von Castle Rock aufgenommen worden war. Und daher bereitete es nicht die geringsten Schwierigkeiten, einen Besuchstermin bei Mrs. Grace zu erhalten, wenn man sich als Michael Rogers auswies.
Kontaktsperre hin oder her.
In einem Schaukelstuhl auf der Veranda ihrer kleinen Suite fand er Mrs. Grace.
Die gesenkten Lider, neben dem ruhigen und gleichmäßigen Atem ließen vermuten, dass sie schlief. Was Michael Gelegenheit gab, einen genaueren Blick zu riskieren.
Trotz des jahrelangen Drogenmissbrauchs, der mit Sicherheit seine Spuren hinterlassen hatte, war ihre Klasse unverkennbar. Auch die Ähnlichkeit mit Stevie konnte man nicht von der Hand weisen.
Das helle Haar offenbarte bereits an einigen Stellen weiße Strähnen, obwohl sie nicht älter als fünfundvierzig sein konnte. Gepflegte sollte man wohl hinzufügen, woraus Michael schloss, dass es sich hierbei keineswegs um eine altersbedingte Ergrauung handelte. Wohl eher hing sie mit den Schicksalsschlägen zusammen, die diese Frau in der jüngsten Vergangenheit verkraften musste. Ihre Haut wirkte faltenlos und rein, die Züge waren ebenmäßig, die Nase klein und die Lippen wohlgeformt, wenn auch recht schmal.
Eine durch und durch außergewöhnliche Erscheinung. Und endlich wusste Michael, von wem Stevie ihr Aussehen geerbt hatte.
»Was wollen Sie?«
Die Augen öffneten sich nicht, doch augenscheinlich hatte sie nicht sehr tief geschlafen.
Neben ihr stand ein Stuhl, in den er sich nach kurzem Zögern setzte. »Mein Name ist Michael Rogers.«
Prompt betrachteten ihn warme, hellblaue Augen. »Rogers ...« Es klang dunkel und schlaftrunken und dennoch angenehm. Michael konnte sich durchaus vorstellen, wie diese Frau früher geklungen hatte, als ihre Stimme noch nicht vom Leben künstlich gealtert war.
»Den Namen habe ich schon einmal gehört«, murmelte sie und musterte ihn neugierig.
»Ich bin der Arbeitgeber Ihrer Tochter Stephanie.«
Unvermittelt und mit äußerst wachem Blick richtete sie sich auf. Nach eingehender Musterung nickte sie langsam. »Ich verstehe ...«
»Pardon ...?«
Das ignorierte Mrs. Grace. »Was führt Sie zu mir, Mr. Rogers?«
Nach einem knappen Räuspern wagte er es einfach. Was hätte Michael auch sonst tun sollen? »Wenn Sie keine Einwände haben, möchte ich Ihnen einige Fragen stellen, Ma‘am.«
»Nun, ich denke nicht, dass ich etwas dagegen habe. Allerdings hätte ich zuvor gern die Motivation für Ihr Auftauchen erfahren. Mir erscheint es ungewöhnlich, dass der Chef meiner Tochter ausgerechnet bei mir vorspricht, denken Sie nicht auch?« Der neugierige Blick wirkte jetzt sogar hellwach.
»Dem kann ich kaum widersprechen«, räumte Michael ein. Im Stillen verwünschte er sich. Hatte er tatsächlich geglaubt, er würde hier hereinschneien, seinen Namen nennen und damit diese Frau zum Reden bringen?
Bullshit! Und wieder einmal ein akuter Fall von Selbstbetrug!
Sie hatte ihn während seines inneren Kampfes nicht aus den Augen gelassen und ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Nun ...?«
Unwirsch runzelte er die Stirn. Zur Hölle mit der Vorsicht! Was hatte er denn zu verlieren? Nichts! Schlimmer werden konnte es nicht. Davon war er überzeugt. Es kostete Michael dennoch einige unsichtbare Entspannungsmomente, doch dann lehnte er sich lächelnd zurück.
»Mrs. Grace, ich habe ein kleines
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