Erstens kommt es anders ... (German Edition)
hielt er sich stundenlang beim Diktat auf, wollte sie in seiner Nähe, so häufig und anhaltend es ging. Wieder einmal benahm er sich kindisch, kratzte bereits akut an seinen guten Vorsätzen und es war ihm total egal. Daher kam es wohl nicht von Ungefähr, dass er sich eines Tages nicht länger beherrschen konnte ...
Zunächst wollte er tatsächlich etwas anmerken, dann überlegte er es sich jedoch anders und begnügte sich mit einem anerkennenden, aber nicht anzüglichen Lächeln. Jedenfalls lautete so in etwa sein Plan. Und das Aufleuchten in ihren Augen schürte seine Hoffnung nochmals, es diesmal nicht versaut zu haben.
… nun ja, sehr lange überlebte die nicht.
Stephanie Vanessa Grace, das verbohrteste, unmöglichste, unerträglichste, halsstarrigste Wesen, das die Menschheit je hervorgebracht hatte, erschien am nächsten Morgen triefend und mit wiederhergestelltem Vorkriegs-Sekretärinnen-Outfit.
Begonnen bei der bis zum letzten Knopf geschlossenen – eindeutig gestärkten – Bluse und dem Ekelrock in attraktiven anthrazitstaubgrau, bis hin zum drangsalierten Haar, das zu allem Überfluss triefte, als hätte sie soeben geduscht.
Dafür fehlten jede feinste Spur von Make-up, leuchtende Augen und das Lächeln.
Michael gab sich tatsächlich Mühe. Zunächst hielt er sich ja auch ganz gut. Bis sie direkt vor ihm saß und er das Desaster zwangsläufig von Nahem betrachten musste. Mit jeder Sekunde ärgerte er sich mehr darüber, wie sich ein so hübscher Mensch absichtlich derart verunstalten konnte. Vor allem: warum?
Und als sie sich dann auch noch unbewusst eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht strich – woher sollte die denn kommen, ihr Haar wurde doch dauergewürgt? – platzte ihm der Kragen. Dröhnend landete seine Faust auf dem Tisch. »Verdammt noch mal, wie siehst du heute bloß aus?«
Ihr Kopf fuhr hoch, der Blick wirkte unsäglich erschrocken. Doch das besänftigte ihn momentan keineswegs. Heftig warf Michael sich in seinem Stuhl zurück. »Es ist unerträglich! Wenn das dort ...« Mit einem angewiderten Finger deutete er auf ihr Klatschhaar, »... deine Reaktion auf einen unschuldigen Blick ist, bist du durchgeknallter, als ich jemals gedacht hätte. Wie kann man nur so verkorkst sein!«
Er war so unbeschreiblich wütend, dass ihm nicht einmal Zeit blieb, ihre Erwiderung zu fürchten. Das war auch nicht erforderlich, denn inzwischen schimmerten ihre Wangen tiefrot und Schuldbewusstsein stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Das beruhigte ihn ein wenig.
Wohlgemerkt: ein wenig! Michael holte tief Luft. »Wo waren wir?«
Ein langer Moment verging, bevor sie auch antworten konnte, und als sie es tat, klang sie verdammt leise. »... bitten wir Sie dringend ...«
Noch immer tobte in Michael die rasende Wut, doch mit jeder Minute entspannte er sich ein wenig mehr. Zum Ende des Diktates lächelte er sogar verhalten.
Wohlgemerkt: verhalten!
Offenbar hatte Stevies Haar beschlossen, den Aufstand zu proben. Während es trocknete, löste sich eine dicke Strähne nach der anderen aus der Würgeschlinge. Die wenigen Verräter, die bisher nicht desertiert waren, konnten den fantastischen Effekt nicht mehr negativ beeinflussen. Und als Stevie bemerkte, dass ihre Klatschfrisur gerade am Aufgeben war, zog sie mit einem schiefen Grinsen das Plastikstrangulationsding heraus und befreite so auch noch die letzten Sklaven.
Mr. Rogers, Sir! und Miss Grace ...
… verschwanden auch in den folgenden zwei Wochen nicht.
Langsam, kaum merklich, veränderte sich jedoch die Atmosphäre. Bis es fast wieder wie früher schien. Keineswegs entging Michael, dass er sich nicht ganz an seinen genialen Plan hielt. Doch im Gegensatz zu gewissen, nicht näher zu benennenden Personen, zeigte er durchaus Kompromissbereitschaft und konnte kurzfristig eine zuvor gefasste Entscheidung revidieren, wenn es ihm ratsam erschien. Außerdem fühlte er sich besser, wenn er Stevie anlächelte und sich nicht ständig zu dieser unbeteiligten Miene zwingen musste.
Nicht viel, mit Sicherheit zu wenig, aber Michaels Hoffnung erhielt einmal mehr neuen Auftrieb.
Eines Mittags Ende Juni kehrte er vom Lunch in die Kanzlei zurück und Stevie saß nicht hinter ihrem Schreibtisch.
Stattdessen lag ein kleiner Zettel auf seinem, auf dem mit äußerst sauberer Handschrift nur drei vertraute Worte standen.
* * *
eit etlichen Minuten saß er neben ihr, doch Stevie machte keine Anstalten, etwas zu sagen.
Sie hielt den interessierten
Weitere Kostenlose Bücher