Erwachen
Innern rührte sich etwas, als baute ich von innen heraus eine Schutzmauer gegen sie auf.
Doch ich lächelte und entzog ihr meine Hände nicht.
„Ist es Carys?“ hörte ich Nathaniel von der Galerie herunterrufen und blickte unwillkürlich nach oben.
Dort stand Nathaniel Hartscombe in all seiner Herrlichkeit, wie mein zuvor menschliches Auge es nie hatte erfassen können.
Seine Schönheit raubte mir schlichtweg den Atem.
Bei meinem Anblick war er stehengeblieben und starrte mich unverhohlen an. „Carys?“
Patricia ließ mich nur widerwillig los, wie mir schien, wandte sich zu ihrem Stellvertreter um und sagte mit großem Staunen in der Stimme:
„Ja, es ist Carys. Und doch ist sie es auch nicht.“
Ich runzelte die Stirn und sah sie fragend an. „Was meinst du damit, Pat?“ Meine Stimme klang mir selbst ganz fremd in den Ohren.
Nathaniel blieb, wo er war, und Patricia wandte sich wieder zu mir. „Die Elfen haben dir deine Erinnerung genommen, damit du dich wandeln konntest.“
Ich berührte meine Stirn. „Meine Erinnerung?“
Sie schüttelte den Kopf, streckte ihre Hand aus und berührte meine Brust genau dort, wo mein Herz schlug. „Deine Erinnerung an Liebe.“
Ich horchte in mich, doch ich spürte nichts.
Ich zuckte die Achseln und sah wieder hinauf auf die Galerie, wo zuvor noch Nathaniel gestanden hatte, doch sie war leer.
„Carys“, sprach Patricia leise. „Alles hat sich zum Guten gewendet. So lange habe ich gehofft und gebetet, dass dieser Tag kommt… Nun bist du endlich frei von Emrys!“
Bei dem Klang dieses Namens trat ein Bild eines jungen, hübschen Mannes vor mein geistiges Auge. „Emrys“, wiederholte ich leise, fast ehrfürchtig, als müsse sich eine Traurigkeit einstellen und mein Herz lähmen – doch nichts dergleichen geschah.
Meine Augen wurden groß, als ich erkannte, dass der Schmerz des Verlustes dieser einstigen Liebe nun nicht mehr meiner war. Vor mir stand seine Mutter, die mich voller Erleichterung und Liebe anblickte, als sie erneut nach meiner Hand griff.
„Du bist mir teuer wie mein eigen Fleisch und Blut. Das warst du schon immer – seit ich dich zum ersten Mal sah.“
Wir fielen uns in die Arme und hielten uns lange Zeit stumm fest, bis ich ein Räuspern vernahm.
Widerwillig löste ich mich von meiner Ziehmutter und sah Nathaniel am Ende der Halle stehen, wo er auf uns zu warten schien.
Sein Anblick machte mich ein wenig kribbelig, wie ich erstaunt feststellte.
„Ich muss dir noch etwas sagen, Carys“, flüsterte Patricia.
Ich zwang meinen Blick von Nathaniel fort und sah sie fragend an.
„Zwei Thrylien… du und Emrys… das darf niemals sein!“ Sie klang traurig.
„Warum hast du dich für mich entschieden?“ fragte ich tonlos.
Sie schluckte. „Ich habe mich selbst in dir gesehen.“
Ich nickte.
„Noch etwas…“ Sie biss sich auf die Lippe, als suche sie nach den richtigen Worten. „Nathaniel hat vor einer Stunde bekanntgegeben, dass er Lisa Woodrow heute Abend zu der seinen machen wird.“
Ich schwieg, obwohl ich am liebsten laut geschrien hätte. Mir war, als rammte man mir ein Messer ins Herz, mein Mund wurde ganz pelzig.
Seit Jahren hatte ich schon gesehen, wie sehr Lisa Nathaniel angeschmachtet hatte. Doch in körperlicher Hinsicht hatte er sie nie beachtet, dazu war sie als Abri zu unscheinbar.
Mein Innerstes schrie immer noch, als Patricia und ich uns in Bewegung setzten und auf Nathaniel zuschritten.
Nun hatte er so lange auf mich gewartet – und doch war ich zu spät gekommen.
Schließlich stand ich vor ihm und legte meinen Kopf in den Nacken, um ihn aus der Nähe zu betrachten. Er war groß, und ich sah ihn zum ersten Mal so, wie ich ihn schon vor zwei Jahren hätte sehen sollen.
Seine dunklen Haare waren kurz und verwuschelt, seine Nase gerade, die Lippen sinnlich, das Kinn herrlich männlich. Die dunklen Augenbrauen betonten seine schönen, strahlenden Augen, die mich mit ihrem Blau musterten, als sähe auch er mich zum ersten Mal.
„Ich lasse euch zwei allein“, murmelte Patricia. „Die Zeremonie beginnt in einer Stunde.“ Sie ließ meine Hand los, ließ mich mit meinem schreienden Innern bei Nathaniel zurück, der so nah vor mir stand, dass er zu mir hinabblicken musste.
Ich betrachtete seinen Bartschatten, sah seine Halsschlagader pulsieren. Ich spürte meine Fänge bei diesem delikaten Anblick und zwang meinen Blick fort, richtete mein Augenmerk auf seine Lippen, die
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