Erwachen
Zeitpunkt.«
»Ihr ergeht es nicht wie mir, oder? Dass sie in einem anderen Körper weiterlebt, meine ich.« Ein entsetzlicher Gedanke kam mir in den Sinn. »Sie steckt nicht in meinem Körper?«
Clarence gluckste. »Dein Körper steckt im Leichenschauhaus, und Alice’ Seele ist weitergezogen. Keine Angst. Du läufst bestimmt nicht irgendwann deinem eigenen Körper über den Weg.«
»Oh.« So ausgedrückt, hörte sich das Ganze eher dämlich an. Dennoch war ich froh über die Klarstellung. »Wissen sie es? Rose? Und Joe?« Letzterer war mein Stiefvater.
»Ja. Ein Nachbar hat dich in Johnsons Wohnung gefunden. Die Polizei ist gekommen und hat das volle Programm abgespult. Joe hat deine Leiche identifiziert.« Das Mitgefühl in seinen Augen hätte mich fast zum Heulen gebracht. »Tut mir leid, Kindchen.«
Ich nickte, weil ich Angst hatte zu reden. Dann, nach einer kleinen Pause, atmete ich kräftig durch. »Und warum konnte ich nicht einfach meinen eigenen Körper zurückbekommen?«
Mit einer Geduld, als würde er zu einem kleinen Kind sprechen, sagte er: »Du bist gestorben, Lily. Du hast Dummheiten gemacht und bist gestorben. Wir können dir nicht einfach deinen alten Körper wiedergeben. So funktioniert das nicht.«
»Na gut. Entschuldige, dass ich momentan nur eine etwas vage Vorstellung davon habe, wie eine Wiederauferstehung, oder wie man so was nennt, funktioniert.« .
»Ach, du kommst schon noch dahinter«, erklärte er in einem Anfall von Großmut.
»Und du weißt wirklich nicht, wer sie umgebracht hat? Wird er nicht ein bisschen angefressen sein, wenn er herausfindet, dass ich noch lebe?«
»Er? Dich hätte ich eigentlich nicht für eine Sexistin gehalten.«
Ich starrte ihn an und wollte eine Antwort.
»Ehrlich, ich weiß es nicht, und ich könnte es dir auch nicht sagen.«
»Ich habe immer gedacht, Gott weiß alles.«
»Er vielleicht schon, Kleine. Aber das heißt noch lange nicht, dass er mir alles mitteilt. So, jetzt hast du dich lange genug gedrückt.« Er nickte in Richtung Autotür. »Du musst los.«
Wie auf ein Stichwort hin öffnete sich die Tür der Limousine, und ich machte mich ans Aussteigen. »Aber brauche ich nicht einen Spickzettel oder so? Eine Fibel, wie man Alice wird?«
Grinsend neigte er den Kopf. »Das findest du alles selbst heraus.«
Während er noch redete, nahm mich der Fahrer beim Arm und zog mich endgültig aus dem Wagen. Dann knallte er die Tür wieder zu. Ich stand da, mit offenem Mund, ein »Hey!« erstarb mir auf den Lippen.
Den Fahrer interessierte das allerdings nicht weiter, und obwohl ich an die Scheibe klopfte und an der Tür rüttelte, ließ sich Clarence nicht mehr blicken.
Vor Wut schäumend sah ich dem Wagen nach, der um die Ecke verschwand, dann drehte ich mich um und fand mich vor den Eingangstiiren des Pubs. Mir fiel wieder ein, was Clarence gesagt hatte, kurz nachdem ich ihn das erste Mal auf dem Bürgersteig unweit der Gasse getroffen hatte: dass ich einem Test unterworfen würde. Dies hier war ein Test. Konnte ich beweisen, dass ich schlau genug war, Alice zu spielen, bekäme ich eine Eins mit Stern. Würde ich Scheiße bauen, bekäme ich es mit einem Messer zu tun. Wieder einmal.
Ich holte dreimal tief Luft, sprach ein schnelles Gebet, dann stieß ich die ramponierten Doppeltüren mit den immer noch originalen Rauchglasscheiben auf. Bei meinem ersten Besuch war hier der Teufel los gewesen, die typischen Nachtschwärmer. Jetzt war früher Montagabend. Nur ein paar Stammgäste schlürften ihr Bier oder ließen sich gebratene Köstlichkeiten schmecken. Die meisten sahen her, als ich hereinkam. Einige stießen sich gegenseitig an und deuteten in meine Richtung, andere reagierten überhaupt nicht.
Der Knoten in meinem Magen zog sich fester zusammen, und ich fragte mich, wie ich das hier wohl überstehen sollte. Ich hatte in genügend Kneipen gejobbt, um die Grundregeln zu kennen, also würde ich mich wohl in diesem Dickicht aus Pints, Fish ‘n’ Chips und Schottischen Eiern zurechtfinden. Echte Sorgen bereitete mir der Gedanke an Freunde, Kollegen und Stammkunden.
Ich atmete durch und setzte mich in Bewegung. Zwei Stufen führten auf einen unebenen Holzboden, und die schaffte ich, ohne auf die Schnauze zu fallen. Insgesamt hatte sich die Kneipe seit meinem letzten Besuch nicht verändert. Ein paar Tische standen in dem düsteren Raum verteilt, der von den Eichenholzpaneelen an den Wänden und den roten Samtnischen entlang einer Wand noch
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