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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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beträchtlich.«
    Sie hob eine Augenbraue. »Von welchem Stern bist du denn heute gefallen? Als ob Egan hinter Deacon herlaufen würde, wenn der so drauf ist. Sonst noch was?« Sie zuckte mit den Schultern, dann holte sie eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche und zählte die Münzen, als ginge es hier um ein beliebtes Thema unter Kellnerinnen. »Du glaubst vielleicht, er wäre nicht so übel, aber mir jagt er eine Höllenangst ein.«
    Sie rauschte davon, und ich starrte ihr nach, ehe ich in die Richtung schaute, in die Deacon verschwunden war.
    Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich mich ebenfalls gefürchtet. Aber mein Verstand musste wohl eine Auszeit genommen haben. Denn damals spürte ich keine Furcht, sondern Neugier. Und ich fühlte mich mehr als nur ein bisschen von ihm angezogen.

6
     
    Nachdem sich Leon verdrückt und die Menge sich aufgelöst hatte, kehrte ich die Scherben zusammen und ging dann endlich in die Küche, wo mir Caleb, der Koch, die beste Portion gebratenen Kabeljaus meines Lebens zubereitete. Das Einzige, was mir noch fehlte, war ein Bier, aber ich bezweifelte, dass Trinken im Dienst hier gern gesehen wurde. Auch wenn ich wahrscheinlich mit einem Mini-Schwips besser gekellnert hätte. Während ich aß, kam Gracie herein und überreichte mir graziös ein Gummiband für den Pferdeschwanz.
    »Tisch vier«, sagte Egan, der Barkeeper, als ich wieder in die Gaststube kam, satt und mit vorgeschriebener Frisur und bereit zum Schichtbeginn. Inzwischen hatte er den kaputten Tisch irgendwo entsorgt, und alles ging wieder seinen gewohnten Gang. Allerdings nicht, soweit es mich betraf. Ich fühlte mich irgendwie aufgekratzt und neben der Spur. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu diesem Ausdruck in Deacons Augen zurück. Natürlich hatte er Alice angesehen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich gesehen hatte - Lily.
    »Hör endlich auf zu träumen, Mädchen!«, sagte Egan und schob ein Tablett mit zwei Pints ein paar Zentimeter über die Theke zu mir her. »An die Arbeit!«
    Schnell schnappte ich mir das Tablett. Hinter der Bar hing ein laminiertes Blatt, auf dem jemand handschriftlich die Lage der einzelnen Tische aufgezeichnet hatte und anhand dessen ich mich orientierte. Tisch vier war im hinteren Bereich, gegenüber der Ecke, wo zuvor der mittlerweile zerlegte Tisch gestanden
    hatte. Vorsichtig arbeitete ich mich in diese Richtung vor, um ja keinen Tropfen Bier zu verschütten, während es in meinem Kopf nur so von Fragen wimmelte, die meisten davon zu Deacon. Wer war er, dieser Mann, dessen Wut ausgebrochen war wie ein Vulkan? Trish hatte gesagt, Alice halte ihn für »nicht so übel«, eine Bewertung, die für mich überhaupt keinen Sinn ergab. Entweder hatte Alice einen völlig verkorksten Realitätssinn - eine Theorie, die ich sofort unterschreiben würde angesichts der Tatsache, dass ihre Wohnung vor Pink nur so strotzte oder mir entgingen ein paar wesentliche Punkte.
    Vielleicht hatte Alice Deacon aber auch nur falsch eingeschätzt. Vielleicht war er ja wirklich so übel. Und vielleicht hatte ihre ruhige Selbstgefälligkeit in Zusammenhang mit so einem gefährlichen Kerl Alice letztlich ihr Leben gekostet.
    »Du hast dir einen schlechten Tag ausgesucht, um deinen Onkel auf die Palme zu bringen«, sagte ein Biker an Tisch vier und riss mich damit aus meinen Grübeleien.
    »Anscheinend«, entgegnete ich und verknüpfte im Geist die Pünktchen zu der Erkenntnis, dass Barkeeper Egan Alice’ Onkel war.
    »Wo bist du eigentlich abgeblieben?«, fragte sein Kumpel, ein Typ in Jeans und Arbeitshemd aus Flanell, die Augen hinter einer Fliegerbrille verborgen. »Nachdem du am Samstag verschwunden bist, hat es eine Ewigkeit gedauert, bis ich endlich meine Würstchen mit Kartoffelbrei bekommen habe.«
    »Oh. Ah, tut mir leid.«
    Er hob die Arme. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich lasse es einfach an deinem Trinkgeld aus.«
    »Ich…«
    Er stieß ein bellendes Gelächter aus. »Drangekriegt.«
    »Nun mach dich mal ein bisschen locker, Alice«, sagte der Biker. »Du gehst ja wie auf Eiern.«
    »Kopfweh«, sagte ich beiläufig. »Fast schon eine Migräne.«
    Ich machte kehrt, nicht sicher, ob ich noch eine weitere Runde mit den beiden durchhalten würde, und richtete meine Gedanken wieder auf wichtigere Dinge. Auf mein Leben als Alice, in das ich einfach reingerutscht war. Und darauf, dass ich hoffentlich bald Aufschluss über ihr Schicksal finden möge.
    Dieser Hoffnung wirkten

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