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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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Offenbar Trish. Und sie hatte den gleichen hohen Pferdeschwanz wie Gracie.
    »Was stehst du hier noch rum? Kümmere dich um deine Frisur und dann an die Arbeit.«
    »Sofort.« Ich zeigte mit dem Daumen nach hinten. »Ich suche mir nur schnell ein Gummiband.«
    Auf dem Weg zur Küche marschierte ich gerade an Trish vorbei, als der Schrei einer Frau, untermalt vom Scheppern zerbrechenden Glases, uns beide stoppte. Der Lärm kam vom anderen Ende der Bar. Gracie saß, umgeben von zerdepperten Biergläsern, auf dem Hintern.
    Aber im Vergleich zu dem Schauspiel, das sich über ihrem Kopf zutrug, war Gracie auf dem Hosenboden kaum der Rede wert. Denn während sie sich wieder aufrappelte, segelte der schlaffe Körper eines großen Mannes durch die Luft.
    Er prallte mit solcher Wucht gegen die Holztäfelung der Wand, dass die Wandleuchter wackelten, dann knallte er runter und begrub einen Tisch unter sich.
    »Verdammte Scheiße!«, brüllte der Barkeeper und kam hinter dem Tresen vor.
    Ich ging los, aber Trishs Hand auf meiner Schulter ließ mich innehalten. Ich wollte mich schon beschweren, da sah ich, worauf sie ihren Blick gerichtet hatte: ein riesiger, finsterer Kerl, bebend vor ungezügelter Wut und roher Energie. Er befand sich gut drei Meter von dem Verletzten entfernt, aber für mich stand außer Frage, dass dieser geheimnisvolle Typ sein Opfer wie einen Sack Müll über die ganze Distanz geschleudert hatte.
    Unfällig, meinen Blick loszureißen, beobachtete ich, wie er die Hände immer wieder zu Fäusten ballte. Er machte einen Schritt vorwärts und blieb dann stehen, was ihn sichtlich Mühe kostete. Unter anderen Umständen hätte ich mir sein Gesicht als einmalig hübsch vorstellen können - ausgeprägte Kieferpartie, einmal gebrochene Nase und Augen, die unter kräftigen Brauen die Welt in sich aufnahmen. Jetzt jedoch war dieses Gesicht entstellt, verzerrt von dem dunklen Drang, der seinen Gegner drei Meter durch die Luft hatte schleudern lassen.
    »Ich muss nach ihm sehen«, sagte ich. Meine Sanitätskurse meldeten sich zu Wort. Ich lief los, vermied jeden Blickkontakt mit dem Angreifer. Dann beugte ich mich zu dem Verletzten hinunter und redete leise auf ihn ein, während ich vorsichtig Glieder und Gelenke abtastete, um etwaige Brüche zu finden.
    Hinter mir bewegte sich etwas. Ich wandte mich um und sah, dass der Biese das Pub mit weit ausholenden Schritten durch querte. Einmal trafen sich unsere Blicke. Seine Augen waren braun, aber so dunkel, dass sie schwarz wirkten, mit winzigen goldgelben Tupfern, in denen sich das Licht fing. Ausdrucksstarke Augen, und ganz kurz flackerte in ihnen ein Funke des Erkennens auf, so intensiv, dass mein Herz ins Stocken geriet. Doch dieser Moment wurde sogleich von der Wut erstickt, die so offensichtlich in ihm brodelte, dass ich schon fürchtete, eine Explosion könnte den Mann auslöschen.
    Ohne Vorwarnung fegte er zwei Biergläser vom nächsten Tisch. Dann stürmte er hinaus und ließ das Pub so still zurück, dass man das Bier in die Fußbodenbretter sickern hörte. Hinter ihm knallte die Tür zu, und wir alle atmeten erleichtert auf.
    Ich schluckte und konzentrierte mich wieder auf den Mann am Boden. Mein R uf nach einer Taschenlampe übertönte das nervöse Gezwitscher der wieder einsetzenden Unterhaltungen.
    Trish tauchte neben mir auf. Ich überprüfte die Augen des Opfers.
    »Was machst du da?«, fragte Trish.
    »Ich will nur sichergehen, dass seine Pupillen sich gleichmäßig weiten«, antwortete ich. »Ich, äh, habe davon mal in einem Erste-Hilfe-Buch gelesen.«
    »So? Kein Wunder, dass du immer so superschlau tust.«
    Ich sa h sie scharf an, aber sie lächelte nur süß. Offenbar waren Alice und Trish nicht gerade die besten Kumpels.
    Wir versuchten, ihm aufzuhelfen, aber der Mann war eindeutig schon wieder ganz der Alte, ein Ausbund an männlicher Unabhängigkeit und ruppiger Verlegenheit. Er stieß uns beiseite und marschierte mit grimmigem Blick auf die Eingangstür zu, seinem Angreifer hinterher.
    »Geh nach Hause, Leon!«, sagte Trish. »Beruhig dich erst mal! Du kannst es mit ihm nicht aufnehmen, wenn er so drauf ist, das weißt du genau.«
    Voller Verachtung starrte Leon sie an, befolgte dann aber doch ihren Rat, stolzierte zur Tür und verschwand in der Nacht.
    Ich hielt Ausschau nach dem Barkeeper, der bereits mit Schrubber und Eimer im Anmarsch war.
    »Hätte er den Kerl nicht verfolgen sollen?«, fragte ich Trish. »Der Schaden ist immerhin

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