Erwachende Leidenschaft
Onkel«, neckte Colin.
»Das ist gut, Mylord.«
Colin mußte wieder lachen. Dann schüttelte er den Kopf. »Also, kommen wir wieder auf die Prinzessin zurück, ja? Was will sie hier?«
»Sie hat sich mir nicht anvertraut«, antwortete Flannaghan. »Und ich habe mir nicht herausgenommen, sie danach zu fragen.«
»Du hast sie also einfach reingelassen?«
»Sie hatte einen Brief Ihres Vaters dabei.«
Endlich hatte er des Rätsel Lösung. »Wo ist der Brief?«
»Ich habe ihn in den Salon gelegt … oder vielleicht ins Eßzimmer?«
»Geh und hol das Ding«, befahl Colin. »Vielleicht kann uns die Nachricht erklären, warum die Frau diese zwei Kerle mit sich herumschleppt.«
»Es sind ihre Wachen, Mylord«, erklärte Flannaghan mit abweisender Stimme. »Ihr Vater hat sie ihr mitgegeben.« Dann setzte er noch mit einem bekräftigenden Nicken hinzu: »Und eine Prinzessin reist nicht mit Kerlen.«
Flannaghans Miene wirkte in seiner Bewunderung für die Prinzessin fast komisch. Diese Frau schien ihn wirklich aus der Fassung gebracht zu haben.
Der Butler hastete durch die unteren Räume, um den Brief zu suchen. Colin blies die Kerzen auf dem Tisch aus, nahm seine Papiere auf und wandte sich zur Treppe zu.
Langsam verstand er, weshalb Prinzessin Alesandra hier war. Natürlich steckte sein Vater dahinter. Seine Kuppeleiversuche wurden immer unverhohlener, und Colin hatte wirklich keine Lust, mal wieder Hauptperson in seinen Spielchen zu sein.
Als er die Hälfte der Treppe hinter sich hatte, entdeckte er sie. Das Geländer half ihm die Würde zu bewahren. Colin war ziemlich sicher, daß er rückwärts hinuntergestürzt wäre, wenn er nicht etwas zum Festhalten gehabt hätte.
Flannaghan hatte nicht übertrieben. Sie sah wirklich wie eine Prinzessin aus. Wie eine schöne zudem. Ihr Haar floß über ihre Schultern, und es erinnerte tatsächlich an Mitternacht. Sie war in Weiß gekleidet, und, gütiger Gott, sie schien eine Vision zu sein, die der Himmel geschickt hatte, um seine Entschlossenheit auf die Probe zu stellen.
Er versagte. Obwohl er es angestrengt versuchte, war er nicht in der Lage, seine äußeren Reaktionen unter Kontrolle zu halten.
Diesmal hatte sein Vater sich wirklich selbst übertroffen. Colin durfte nicht vergessen, ihm zu seinem guten Geschmack zu gratulieren … nachdem er das Mädchen zurückgeschickt hatte, natürlich.
So standen sie da, starrten einander an und schwiegen. Alesandra wartete darauf, daß er sie ansprach. Colin wartete darauf, daß sie ihre Gegenwart erklärte.
Alesandra gab zuerst nach. Sie trat ein paar Schritte vor, bis sie an der obersten Stufe stand, senkte kurz den Kopf und sagte: »Guten Abend, Colin. Schön, dich wiederzusehen.«
Ihre Stimme klang sehr anziehend. Colin versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie soeben gesagt hatte. Es war albernerweise ziemlich anstrengend.
»Wiederzusehen?« fragte er unbeabsichtigt grob.
»Ja. Wir haben uns schon einmal gesehen, als ich noch klein war. Du hast mich das Balg genannt.«
Ihre Bemerkung entlockte ihm ein Lächeln, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte. »Warst du denn ein Balg?«
»O ja« antwortete sie. »Man hat mir erzählt, daß ich dich getreten habe … übrigens wohl öfter. Aber es ist wirklich lange her. Inzwischen bin ich älter geworden, und ich glaube nicht, daß der Spitzname noch zu mir paßt. Ich habe schon länger niemanden mehr getreten.«
Colin lehnte sich gegen das Geländer, um sein verletztes Bein ein wenig zu entlasten. »Wo haben wir uns denn kennengelernt?«
»Im Landhaus deines Vaters«, erklärte sie. »Meine Eltern haben mich auf einen Besuch mitgenommen, und du warst aus Oxford gekommen. Dein Bruder hatte gerade seinen Abschluß gemacht.«
Colin konnte sich immer noch nicht erinnern. Das überraschte ihn allerdings nicht, denn seine Eltern hatten stets Besuch im Haus, und er hatte sich nur selten darum gekümmert. Die meisten Gäste waren, wie er sich erinnerte, finanziell am Ende gewesen, denn Vaters fast krankhafte Gutherzigkeit ließ nicht zu, jemandem Hilfe zu verweigern.
Alesandras Hände waren gefaltet, und sie wirkte auf ihn sehr entspannt. Doch Colin bemerkte, daß ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie preßte die Hände entweder aus Angst oder aus Nervosität zusammen. Sie war also doch nicht so gelassen, wie sie ihn glauben machen wollte. Plötzlich war er sich ihrer Verletzlichkeit überdeutlich bewußt und stellte fest, daß er sie gerne beruhigen
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