Erwachende Leidenschaft
war schwer, ihn nicht zu bemerken. Dazu war er zu attraktiv. Sein Körper schien fest und in Form. Er trug helle Hirschlederreithosen, polierte braune Stiefel und ein blendend weißes Hemd. Seine Art, sich zu kleiden, ließ seine Persönlichkeit erkennen, zumal er den obersten Hemdknopf offenstehen und auf eine dieser scheußlichen, gestärkten Halsbinden verzichtet hatte. Er wirkte ein bißchen wie ein Rebell in dieser sehr konservativen Gesellschaft. Sein Haar war ganz und gar nicht modisch und wohlfrisiert, sondern ziemlich lang – schulterlang, wie sie vermutete, obwohl sie es nicht genau sagen konnte, weil er es im Nacken mit einem Lederband zusammengebunden hatte. Colin war eindeutig ein unabhängiger Charakter. Er war groß, hatte breite Schultern und kräftige Schenkel, und er erinnerte Alesandra an die finsterblickenden Grenzer, die sie als Illustrationen in den Zeitungen gesehen hatte. Colin sah ausgesprochen gut aus, ja, aber ebenso furchterregend. Das einzige, was ihn davor rettete, hoffnungslos unnahbar zu erscheinen, war die Wärme seines Lächelns, wenn er gut gelaunt war.
Jetzt war er überhaupt nicht gut gelaunt.
»Komm rein und setz dich, Alesandra. Wir müssen reden.«
»Natürlich«, antwortete sie.
Plötzlich war Flannaghan an ihrer Seite. Er nahm ihren Ellenbogen, um sie durch den Raum zu führen. »Das ist nicht nötig, Flannaghan!« rief Colin. »Alesandra kann auch alleine gehen.«
»Aber sie ist doch eine Prinzessin«, rief der Butler seinem Herrn in Erinnerung. »Wir sollten ihr jede Ehrerbietung erweisen.«
Colins Blick sagte Flannaghan, daß er sich seine Kommentare besser sparen sollte, und er ließ widerwillig Alesandras Arm los.
Er sah so zerknirscht aus, daß Alesandra instinktiv versuchte, ihn wieder aufzurichten. »Sie sind sehr rücksichtsvoll, Flannaghan«, lobte sie ihn.
Der Butler hing augenblicklich wieder an ihrem Ellenbogen, und Alesandra ließ sich von ihm zu dem kleinen Brokatsofa führen. Als sie sich gesetzt hatte, kniete Flannaghan eifrig nieder und versuchte, ihren Rock zu glätten. Das war aber selbst Alesandra zuviel.
»Kann ich noch etwas für Sie tun, Prinzessin? Die Köchin wird das Frühstück jeden Moment fertig haben. Möchten Sie in der Zwischenzeit eine Tasse Schokolade?«
»Nein, danke«, erwiderte sie. »Ich könnte aber eine Feder und Tinte gebrauchen. Würden Sie so freundlich sein und mir sie holen?«
Flannaghan rannte förmlich aus dem Salon, um das Gewünschte zu besorgen.
»Es überrascht mich, daß er den Kniefall vergessen hat«, bemerkte Colin gedehnt.
Sie mußte lächeln. »Du kannst dich glücklich schätzen, einen so gutherzigen Butler zu haben, Colin.«
Er sagte nichts darauf. Und schon kam auch Flannaghan wieder hereingestürmt, stellte Feder und Tintenfaß auf einen kleinen Beistelltisch und trug diesen dann zu Alesandra hinüber.
Sie dankte ihm, woraufhin er vor Freude errötete.
»Schließ die Türen hinter dir, Flannaghan«, befahl Colin. »Ich will nicht gestört werden!«
Colins Stimme klang nun wieder verärgert, und Alesandra seufzte. Er war wirklich kein besonders umgänglicher Mensch.
Sie wandte ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu. »Ich habe dich wütend gemacht. Es tut mir wirklich leid, wenn ich …«
»Du hast mich nicht wütend gemacht«, unterbrach er sie fauchend.
Am liebsten hätte sie laut gelacht. Sie beherrschte sich jedoch. »Aha«, sagte sie brav, um ihn nicht weiter zu reizen.
»Wie auch immer«, fuhr er mit gepreßter, harter Stimme fort. »Ich denke, wir sollten hier und jetzt ein paar wichtige Dinge besprechen. Wieso in Gottes Namen kommst du auf die Idee, daß ich dich heiraten könnte?«
»Dein Vater meinte, du würdest es tun.«
Er versuchte nicht einmal, seine Verzweiflung zu verbergen. »Ich bin erwachsen, Alesandra. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen.«
»Ja, natürlich bist du erwachsen«, stimmte sie zu. »Aber du bist immer noch sein Sohn, Colin. Es ist deine Pflicht, zu tun, was er von dir verlangt. Söhne sollten ihren Vätern gehorchen, egal, wie alt diese Söhne sind.«
»Das ist lächerlich.«
Sie hob geziert die Schultern. Colin faßte sich in Geduld. »Ich weiß nicht, welche Art von Abkommen du mit meinem Vater getroffen hast, und es tut mir leid, wenn er in meinem Namen Versprechungen gemacht haben sollte, aber ich will, daß du es begreifst: Ich habe keinerlei Absicht, dich zu heiraten.«
Sie senkte ihren Blick auf das Kärtchen in ihrer Hand. »Also gut«, sagte
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