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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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Nische neben seiner Haustürtreppe unter. Eigentlich half das nichts – trotz Schirm war es nutzlos –, weil der Regen so schräg fiel. Mein Lieblings-T-Shirt mit einem Motiv aus Alice im Wunderland war schon völlig durchgeweicht. Zum Glück war es schwarz, und nicht weiß.
    Ich brauchte einfach noch einen Moment. Ich würde nicht weglaufen, aber ich erlaubte mir, mich ein paar Minuten lang zu sammeln. Ich legte meinen Kopf an die Nischenwand und konzentrierte mich einfach darauf … zu atmen.
    Da hörte ich, dass Lincolns Haustür sich mit einem Klicken öffnete.
    Unter meinem Schirm konnte ich nur zwei Paar Füße sehen, die über mir innen in der Tür standen. Die vertrauten Adidas-Turnschuhe, von denen ich wusste, dass sie Lincoln gehörten, und ein ausgetretenes Paar schwarzer Blundstones. Beim scharfen Klang einer fremden Männerstimme zögerte ich.
    »Jemand muss es ihr sagen. Du warst zu dicht dran, Lincoln. Denk daran, wer du bist, was du bist. Und denk daran, was sie ist!«
    Lincolns Tonfall war eindringlich, flehend. »Sie ist noch nicht bereit! Es gibt Dinge, die wir noch nicht über sie wissen. Sie braucht Zeit.«
    »Sie oder du?«, fragte der Fremde knapp. »Violet ist erwachsen geworden, sie muss sich entscheiden, wie wir alle. Das weißt du, deshalb bist du hier.«
    Mein Magen sackte ab. Abgesehen von meinem pochenden Herzen stand ich ganz still da mit meinem Schirm, wie ein Passant, der sich hier zufällig einen Moment lang ausruhte.
    »Griffin, ihr Leben wird sich ein für allemal verändern. Du kennst sie nicht so gut wie ich«, sagte Lincoln schnell.
    Griffin war nicht zufrieden. Ich hörte, wie er ungeduldig an den Türrahmen trommelte. »Du schaust nicht richtig hin. Du hast das Vertrauen in sie verloren. Oder ist da noch etwas Anderes? Willst du lieber selbst ihren Beschützer spielen, anstatt ihr zu ermöglichen, eine Beschützerin zu werden?«
    Beschützerin? Was zum Teufel sollte das denn?
    Sie schwiegen einen Augenblick und ich dachte schon, sie hätten mich entdeckt. Ich hielt den Atem an, aber dann fing Lincoln wieder an zu sprechen.
    »Na gut, wir machen es, wie du willst, aber nicht heute. Gib mir ein paar Tage Zeit. Zu erfahren, dass man Halb-Engel ist, muss man erst mal verdauen, ganz zu schweigen vom ganzen Rest. Ich will nicht, dass Violet durchdreht, wenn sie merkt, dass sich ihre ganze Welt ändern wird.«
    Ich war nicht sicher, ob ich noch atmete. Alles spielte sich in einer Art bizarrer, virtueller Realität ab und ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Ich ließ den Schirm aus meiner Hand gleiten, als ich von unten an die Treppe trat. Lincoln stand mit dem Rücken zu mir in der Tür. Der andere Mann, Griffin, entdeckte mich sofort, und an seinen Augen konnte ich sehen, dass er mich erkannte – und dass er wusste, dass ich alles gehört hatte. Dass er genau wusste, wer ich war.
    Dann blickte er wieder Lincoln an. »Sorry, Lincoln, aber es wird doch heute sein. So wie es aussieht, liegt es nicht mehr in unserer Hand.«
    »Also, ich mach das nicht«, fuhr Lincoln ihn an, weil er noch immer nicht gemerkt hatte, dass ich hinter ihm stand. »Ich werde es ihr nicht sagen!« Er schlug so heftig gegen die Tür, dass es splitterte, und ich zuckte zusammen.
    Ich stieg eine Stufe weiter hinauf und merkte sofort, dass alles anders war. Irgendwie wusste ich, dass es kein Zurück für mich gab.
    »Zu spät«, sagte ich.

KAPITEL ACHT
    »Der Engel sagte: ›Wer Böses tut, soll weiterhin Böses tun, und wer unrein ist, soll unrein bleiben; aber wer recht hat, soll weiterhin recht tun, und wer heilig ist, soll heilig bleiben.‹«
    OFFENBARUNG 22, 11
     
    E s fühlte sich an, als hätten Lincoln und ich Stunden dort gestanden und uns gegenseitig angestarrt. Bilder von dem Tag, als wir uns kennenlernten, als wir uns durch puren Zufall in diesem Selbstverteidigungskurs trafen, schossen mir durch den Kopf. War alles eine Lüge gewesen?
    Ich musste hier weg. Ich drehte mich um und stolperte auf die Straße zu. Mein Schirm war noch immer aufgespannt und baumelte an meiner Seite. Ich war inzwischen froh, dass es regnete. So konnte man die Tränen nicht sehen, die mir über das Gesicht strömten.
    »Violet, warte!«, rief mir Lincoln zu und kam die Stufen heruntergerannt.
    Ich hielt an, wandte mich jedoch nicht um.
    »Ich kann das erklären!«, brüllte er über das Rauschen des Regens.
    Es fühlte sich an, als würde der Himmel um mich weinen. »Gut! Dann erklär es mir!«, brüllte ich

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