Erwacht
dazu, und nachdem er Griffin und mir Kaffee gereicht hatte, zog er sich zu den Küchenhockern zurück, weil er spürte, dass ich ihn nicht in meiner Nähe haben wollte.
Griffin saß auf der Couch, und während wir an unserem Kaffee nippten, schaute ich mir sein Gesicht genauer an. Zuerst hatte ich angenommen, er sei über dreißig, aber jetzt hielt ich ihn eher für fünfundzwanzig. Er sah eigentlich ganz gut aus. Glattes, braunes Haar, kurz geschnitten und gepflegt. Die Kleider – schwarze Hose und blaues Hemd – waren gut geschnitten und frisch gebügelt. Sie passten nicht so recht zu seinen alten, abgewetzten Stiefeln. Dafür, dass er so jung war, war er ziemlich spießig angezogen. Das war wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb ich ihn älter geschätzt hatte; der andere waren seine hellgrauen Augen. Sie wirkten weiser, wissender, als sein Alter vermuten ließ. Er sah langweilig aus, anders konnte man ihn nicht beschreiben, aber ich vertraute ihm sofort. Ich traute diesen Augen.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt an Engel glauben soll«, sagte ich.
»Macht nichts. Das kommt noch«, erwiderte Griffin.
Ich wusste nicht mehr, wie viele Tassen Kaffee wir tranken, während er mir die Geschichte und Geschichten von Engeln und Grigori erzählte.
Ich lauschte, während er erklärte, dass Engel in ihrem eigenen Reich lebten. Er erzählte von einer Art Zwiebel. Das meiste davon bekam ich nicht mit, ich meine, ich hörte die Worte, aber ich war noch an diesem »Wahnsinn, du bist ein Halb-Engel« -Teil hängen geblieben. Es ging irgendwie um das Universum und dass es verschiedene Schichten hat. Das Reich der Engel war eine davon, unsere Welt eine andere. Engel hatten keine physische Form. Ihre Aufgabe bestand darin, die Menschheit anzuleiten, aber niemals direkt einzugreifen. Sie wirkten wie eine Regierungsmacht über der Welt der Menschen, boten Wahlmöglichkeiten und beeinflussten sogar den freien Willen.
Die Engel beeinflussten alle anderen Kreaturen und sogar die Elemente – Tiere, das Klima, die Natur –, sie hatten überall die Hände im Spiel.
Was Menschen anging, so leiteten die Engel sie durch Träume oder Erleuchtungen, oder sie konstruierten Zufälle. Engel konnten eine Person dazu bringen, sich zwischen Licht und Finsternis zu entscheiden – oft auch für etwas, was dazwischen lag. Sie konnten Neid und Begierde fördern, aber ebenso auch Mitgefühl und Barmherzigkeit. Aber fördern war alles, was sie dabei tun sollten . Die Entscheidung lag letztendlich beim einzelnen Menschen.
»Licht und Finsternis? Du meinst, Gut und Böse?«, fragte ich. »Aber sollten Engel nicht gut sein – ein wenig Hilfe von oben schicken oder so?«
»So einfach ist das nicht, Vi. Engel helfen uns tatsächlich in der Rolle, die sie in ihrem Reich spielen, aber alles muss im Gleichgewicht sein. Ebenso wie es Engel gibt, die Wunder vollbringen, etwa Regen in einer Dürre, gibt es auch jene, die die Dürre zunächst mal ermöglichen. Für jeden Engel, der jemanden dazu ermutigt, einen erleuchteten Pfad zu beschreiten, gibt es einen, der jemanden dazu verlockt, einen Pfad der Dunkelheit zu begehen. Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit in unserer Welt herzustellen, ohne dabei den freien Willen zu beeinträchtigen.«
Während er sprach, wanderte meine Hand geistesabwesend zu meiner Schulter und ich dachte an den Mann in meinem Traum, der gesagt hatte, er sei ich, und der dann mit seiner Klaue nach mir geschlagen hatte. War er ein Engel gewesen?
Griffin fuhr fort zu erklären, dass es Engeln verboten war, das Engelreich zu verlassen. Aber es gab Engel – sowohl Engel des Lichts als auch des Schattens –, die dieses Sklavendasein hassten. Als höhere Wesen glaubten sie, dass eigentlich die Menschen ihnen dienen sollten. Die Entschlossensten unter ihnen hörten auf, ihre Pflichten zu erledigen, sie verließen das Engelreich, nahmen menschliche Gestalt an und strebten nach Macht und Vergeltung. Die in die Verbannung gegangenen Engel in Menschengestalt besaßen noch immer engelhafte Stärken und Fähigkeiten; außerdem waren sie unsterblich. Aber indem sie die Verbannung gewählt hatten, hatten sie all die Moralvorstellungen und Strukturen, an die sie zuvor gebunden waren, aufgegeben. Da sie noch nie zuvor einen Körper besessen hatten, wurden sie schließlich von der Atmosphäre ihrer neuen Welt überwältigt. Menschliche Gefühle zu verarbeiten und sich an die physischen Sinne zu gewöhnen –
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