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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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einen Elternteil verliert, stellt die Aura, die dieses Kind umgibt, eine Pforte für einen Engel dar, durch die er einen Teil seiner selbst weitergeben kann. Sowohl Engel des Lichts als auch Engel der Finsternis, Engel aus allen Rängen können etwas von sich selbst an Menschen weitergeben – und damit auch viele ihrer einzigartigen Fähigkeiten und Stärken.« Er hielt inne, trank einen Schluck Kaffee und lehnte sich auf der Couch zurück.
    »Wie viele Ränge gibt es?«, fragte ich.
    »Neun. Zehn, wenn man die Einzigen mitrechnet. Ich zeichne dir einen Stammbaum. Zuerst sieht es kompliziert aus, aber es wird nicht lang dauern, bist du es verstanden hast.«
    Ich beobachtete, wie er einen Schreibblock vom Kaffeetisch nahm und rasch eine Art Hierarchie auf das Papier kritzelte. Ganz oben schrieb er »Seraphim«, darunter listete er die anderen Ränge auf, aber zum Schluss ging er wieder ganz nach oben und schrieb »Die Einzigen« darüber. Einige der Namen kannte ich, etwa Cherubim und Erzengel; andere hingegen sagten mir gar nichts, so wie Herrschaften und Mächte.
    Schließlich lenkte ich ein und schnappte mir eines der Handtücher vom Kaffeetisch, um etwas von dem Wasser aufzuwischen, das mir aus den Haaren getropft war. Vom Aufwischen verstand ich wenigstens etwas. Ich bedeckte mein Gesicht mit dem Handtuch und atmete ein paar Mal tief durch. Dabei warf ich einen verstohlenen Blick auf die Haustür und liebäugelte mit der Chance, davonzulaufen.
    Griffin nahm wieder einen Schluck Kaffee und beobachtete mich. Er wartete darauf, dass ich etwas sagte, aber was zum Teufel hätte ich schon sagen sollen?
    »Wäre dir eine kurze Antwort lieber?«, bot Griffin an.
    »Ja, bitte«, sagte ich erleichtert.
    Er schlug einen tröstenden Tonfall an. »Grigori sind Gärtner. Wir jäten das Unkraut. Die Legende hat sich zwar mit der Zeit etwas verändert, aber die Theorie ist dieselbe geblieben. In manchen Texten wird Grigori als »Wächter« übersetzt, was sich in anderen Übersetzungen zu »Beschützer« gewandelt hat. Wenn du das mit »Engel« zusammensetzt, erhältst du …?« Er saß geduldig wartend da.
    Mein Magen rutschte nach oben in Richtung Brust. Ich konnte die Worte kaum glauben, die ich gleich aussprechen würde. »Schutzengel?«
    »Die Kurzform … ja«, sagte er einfach.
    Ich setzte mich ungeschickt auf und suchte nach einem Ausweg aus alldem. »Mal angenommen, ich trage diese Gabe in mir – warum weiß ich dann nichts davon? Bestimmt hätte ich doch inzwischen etwas gespürt?« Ich meine, wenn ich die Fähigkeit gehabt hätte, schnell mal nach oben auf eine Wolke zu fliegen, dann wäre ich jetzt nicht völlig durchnässt – oder noch besser: Ich hätte es ausgenutzt und wäre verdammt noch mal von hier verschwunden!
    Griffin lächelte halbherzig, und ich fragte mich, wie oft er diese Geschichte schon erzählt hatte. Und wie viele Menschen ihn daraufhin ungläubig angestarrt hatten.
    »Wenn ein Kind das Alter von siebzehn Jahren erreicht, erwacht die Engelsnatur in ihm. Zu diesem Zeitpunkt kann es entscheiden, ob es die letzte Reise antreten und das Geschenk annehmen möchte. Erst dann erhält es die Kräfte eines Grigori.«
    In meinem Kopf purzelte so vieles durcheinander. Ich warf Lincoln einen raschen Blick zu, dann schaute ich wieder Griffin an.
    »Lincoln sagte etwas davon, dass ich seine Partnerin sei. Was bedeutet das?« Definitiv nicht die Art von Partnerin, die ich mir erhofft hatte, als ich heute Morgen aus dem Haus gegangen war, so viel war klar.
    »Grigori arbeiten immer zu zweit, wie alles andere im Universum. Sonne und Mond, Erde und Wasser, Mann und Frau – du weißt schon, worauf ich hinauswill. Wenn der erste eines Paares ein Grigori wird, bekommt er den Namen seines Partners. Lincoln ist schon seit neun Jahren ein Grigori, aber von Anfang an warst du ihm als Partnerin bestimmt. Deshalb ist er seit ein paar Jahren hier. Er ist gekommen, um schon mal damit anzufangen, dich darauf vorzubereiten.«
    »Das ist nicht der einzige Grund«, sagte Lincoln ruhig von der Küche her. Griffin runzelte die Stirn.
    Ich rechnete rasch im Kopf nach und richtete meine Frage dann ausschließlich an Griffin. »Lincoln ist zweiundzwanzig. Wie kann er seit neun Jahren ein Grigori sein, wenn er vor fünf Jahren erst siebzehn geworden ist?«
    Griffin seufzte und bedachte mich mit einem bedauernden Lächeln. »Sieh mal«, sagte er, und zum ersten Mal hörte ich in seiner Stimme einen leicht ländlichen Einschlag.

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