Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
Einblick in eine der dunklen Kammern seines Herzens, von dem er so sicher schien, dass er es nicht besaß.
»Mein Bruder ist vor sechs Jahren gestorben. Er wurde im Dienst von einem Rogue getötet, der zum Entzug hereingebracht worden war.«
»Ein Rogue?« Unsicher schüttelte sie den Kopf.
»Wenn ein Angehöriger des Stammes sich von seinem Hunger überwältigen lässt, wird dieser Hunger zur Sucht. Man nennt sie Blutgier, und sobald es einen erwischt hat, gibt es kein Zurück mehr. Man mutiert zum Rogue – die schlimmste Form von Wahnsinn, die es gibt. Du hast Durst, du jagst, du tötest. Du bist auf einem Zerstörungstrip, bis jemand dich entweder ausschaltet oder du der Welt einen Gefallen tust und dich von der Sonne verbrennen lässt.«
Sie war nicht sicher, was schrecklicher klang, die Krankheit selbst oder die grimmige Endgültigkeit ihrer Behandlung. »Aber die Agentur kann einige retten?«
Sein freudloses Kichern gab ihr nicht viel Hoffnung. »Die Agentur arbeitete lange nach dem Grundsatz, dass das möglich ist. Natürlich unterhält die Agentur auch Einrichtungen in ganz Europa und den Vereinigten Staaten, in denen diese kranken Angehörigen der Spezies untergebracht sind. Viele ehrgeizige Funktionäre in den oberen Rängen der Agentur würden dir glaubhaft erklären, dass das System seine Erfolge zu verzeichnen hat.«
»Du siehst das nicht so.«
»Ich habe diese Erfolge weder gesehen noch davon gehört. Wenn du mich fragst, sind diese Einrichtungen nichts weiter als Verwahranstalten für eine Massenplage, die nur auf die Chance wartet, auszuschwärmen wie die Heuschrecken und alles zu fressen, was ihr in den Weg kommt.«
Tavia schauderte. »Und nichts kann einen Rogue aufhalten?«
»Nur eine Kugel oder Klinge aus Titan. Das Metall wirkt auf den verseuchten Blutkreislauf der Rogues wie Gift. Und wenn das nicht klappt, tut es auch ein langes, heißes Sonnenbad.«
Sie musterte ihn, sah die Qual in seinem angespannten Gesicht. »Es muss schrecklich gewesen sein, deinen Bruder an eines dieser Monster zu verlieren.«
»War es.« Er nickte grimmig, mit nachdenklicher Miene. In Gedanken war er meilenweit fort, und es dauerte einen Augenblick, bis er wieder bei ihr war. »An die Zeit unmittelbar danach kann ich mich kaum erinnern. Ich hatte so viel Wut und Kummer in mir … und auch noch lange Zeit danach.«
Seine Augen waren dunkel geworden, und Tavia spürte, dass er ihr etwas verschwieg, ein Geheimnis, das er ihr noch nicht verraten wollte. Vielleicht niemandem. Und es war klar, dass die Dinge, die er damals getan hatte, ihn immer noch verfolgten, auch wenn er behauptete, dass er die Erinnerung daran zurückgelassen hatte.
»Es war einfach undenkbar, dass Quent uns so plötzlich genommen wurde. Elise war natürlich völlig vernichtet, und auch ihr Sohn, Camden. Der Junge war noch ein Teenager. Er hatte schon Pläne gemacht, speziell arrangierte private Abendkurse an der Harvard-Universität zu besuchen, so wie auch Quentin und ich und unser Vater vor uns. Cam hatte sich so darauf gefreut. Er hatte eine große Zukunft vor sich.«
Der Schnappschuss von Chase und Elise und dem lächelnden Jungen stand ihr wieder in jedem Detail vor Augen. Aber selbst ohne ihr fotografisches Gedächtnis hätte Tavia sich an den begehrlichen Ausdruck in Chases Augen erinnert. »Was ist nach dem Tod deines Bruders mit Elise und ihrem Sohn passiert?«
Chases Miene verdüsterte sich wieder.
»Sie lebten eine Weile unter meiner Obhut. Mein Vater war auf Patrouille getötet worden, noch bevor Quent starb, und somit wurde ich der Leiter des Dunklen Hafens meiner Familie. Gleich nach Quents Tod zogen Elise und Cam in mein Haus in Black Bay ein. Um ehrlich zu sein, ich dachte, ich könnte einfach für meinen Bruder einspringen und sein Leben weiterleben. Ich wollte endlich wissen, wie es sich anfühlte, er zu sein – nur einmal. Aber ich konnte immer noch seine Anwesenheit spüren, auch nach seinem Tod.«
»Und Elise?«, fragte Tavia und wünschte sich plötzlich, nicht solche Angst davor zu haben, zu hören, dass er immer noch etwas für diese Frau empfand. »Wie war es für dich, sie plötzlich in deinem Haus zu haben, für sie verantwortlich zu sein?«
»Es war, wie mit zwei Gespenstern zu leben – mit dem meines Bruders und mit ihrem. Nach Quents Tod hat sie sich völlig zurückgezogen. Nur noch Camden bedeutete ihr etwas, er war ihr Ein und Alles.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus, in dem heftige Reue
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