Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
Gegenteil«, antwortete Dragos liebenswürdig. Obwohl seine Stimme ruhig und professionell klang, beschleunigte sich sein Puls bei der Aussicht, dass ihm gleich wieder ein argloses Opfer in die Falle gehen würde. »Und bitte, Sir, nennen Sie mich Drake.«
»Nun, ich danke Ihnen, Drake«, sagte der ehemalige Universitätsprofessor, der derzeit nur einen Herzschlag vom mächtigsten Amt der Welt entfernt war. Er war auch ein langjähriger Freund und Mentor von Robert Clarence gewesen, und der Kummer über seinen Tod war dem Mann deutlich anzuhören. »Einfach schrecklich, was mit Bobby geschehen ist. Unser Land hat einen wahren Patrioten verloren, einen unserer Besten. Und ich denke, Sie sollten wissen, dass er Sie sehr geschätzt hat.«
Dragos kicherte leise und bemühte sich um einen angemessen ernsten Tonfall, als er von seinem Lakaien sprach. »Der Senator und ich waren Brüder im Geiste, sozusagen. Wir teilten einen gemeinsamen Traum für dieses Land. Tatsächlich für die ganze Welt.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte der Vizepräsident. »Ich weiß, dass Sie Bobby noch nicht sehr lange kannten, aber Sie haben großen Eindruck auf ihn gemacht, Drake. In letzter Zeit hat er praktisch nur noch von Ihnen geredet, besonders in den letzten Tagen. Es war ihm ein Anliegen, dass Sie und ich uns bei Gelegenheit zusammensetzen und diskutieren, wie sich unsere Interessen für das Land miteinander verknüpfen lassen. Der Junge hat mir praktisch das Versprechen abgenommen, Zeit für Sie in meinem Terminkalender freizuschaufeln, also wie könnte ich es ihm abschlagen?«
»Bobby konnte sehr überzeugend sein, wenn es darum ging, für das, woran er glaubte, zu werben«, sagte Dragos. »Aber machte das nicht auch seinen Charme aus?«
Der Mann lachte leise. »Wie recht Sie haben, Drake. Wie recht. Hören Sie, ich wollte mich entschuldigen, dass wir uns gestern Abend nicht treffen konnten, wie Bobby es arrangiert hatte, bevor er … « Ihm versagte kurz die Stimme. »In den letzten paar Tagen hat sich sehr viel verändert.«
»Natürlich. Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen.« Aber Dragos würde sich das Treffen unter vier Augen mit dem wichtigen Politiker nicht durch die Lappen gehen lassen. »Ich werde Sie nicht zu einem Treffen drängen, Sir, besonders jetzt nicht, nachdem Sie eben einen nahen Freund verloren haben.« Er hielt inne, als müsse er die Fassung wiedergewinnen. »Sie und ich ebenfalls. Das Geschäft kann erst einmal warten.«
»Wissen Sie was«, sagte der Mann zögerlich, »ich werde morgen Nachmittag zu Bobbys Beerdigung in Boston sein. Vielleicht könnten Sie und ich uns nach dem Gottesdienst zusammensetzen.«
»Aber gerne«, sagte Dragos und bemühte sich, nicht allzu eifrig zu klingen. Alles, was er brauchte, waren ein paar Minuten allein mit diesem Mann, und er würde ganz ihm gehören. Dragos’ Lächeln wurde breit, und in Vorfreude auf seinen bevorstehenden Triumph fuhren sich seine Fangzähne aus. »Dann bis morgen, Sir.«
Chase stand vor dem Waschbecken im Bad seines Dunklen Hafens und vernähte die letzten Schusswunden der vorletzten Nacht. Das schwarze Waschbecken war voller gebrauchter Wattebäusche und Gaze, alles getränkt von Blut und Desinfektionsmittel. Es war etwa zweiundsiebzig Stunden her, seit er auf dem Polizeirevier angeschossen wurde. Die Wunden hätten längst heilen müssen. Dass sie es nicht taten, war überhaupt kein gutes Zeichen.
Genauso wenig wie der nagende Schmerz tief in seinem Mark, der ihn drängte zu jagen, Nahrung zu sich zu nehmen. Die Leere zu füllen, die schon sehr bald uferlos sein würde.
Seine Finger mit der Nähnadel aus der Drogerie zitterten, sein Blickfeld verschwamm an den Rändern, sodass es ihm verdammt schwerfiel, sich im grellen gelben Schein der Badezimmerlampen zu konzentrieren. Er zwinkerte das lästige Summen seiner Sinne weg und biss die Zähne zusammen, als er die Nadel mit dem vierfachen Nähgarn durch die ausgefranste Haut seines linken Brustmuskels stieß. Er zog den letzten Stich fest und machte einen rudimentären Knoten.
Als er den Faden abbiss, erhaschte er einen Blick auf sich im Spiegel. Ein hageres Gesicht mit dunkel geränderten Augen starrte auf ihn zurück. Kalkweiße Haut und eingefallene Wangen ließen ihn alt wirken – nicht ganz so alt, wie er wirklich war, etwas über hundert Jahre, aber mindestens zehn Jahre älter als dreißig, sein Normalzustand als erwachsener Stammesvampir. Er sah müde und angeschlagen aus,
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