Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
am Rande des Untergangs.
Hölle noch mal, genauso fühlte er sich auch.
Mit einem gemurmelten Fluch warf er die Nadel ins Waschbecken zu dem übrigen Müll. Sein Atem ging keuchend, und er stieß ihn mit einem tiefen Knurren wieder aus. Was zum Teufel machte er da, sich in diesem gottverlassenen Haus zu verkriechen und im Nebenraum eine Frau gegen ihren Willen festzuhalten? Selbst wenn sie tatsächlich mehr war, als sie zu sein vorgab – selbst wenn sich herausstellte, dass sie irgendwie mit Dragos selbst in Verbindung stand – , wer war er, über sie zu richten? Er war kein Mitglied des Ordens mehr. Er war auch nicht lange Mitglied der Agentur gewesen. Was er jetzt war, konnte er in Tavias verängstigten Augen sehen. Er war umnachtet, gefährlich … ein Monster.
Nicht zum ersten Mal wanderten seine Augen zu dem kleinen silbernen Röhrchen auf dem Waschtisch aus schwarzem Granit. Er hatte es im Schlafzimmer gefunden, auf seinem alten Schreibtisch, mit einer Handvoll alter Schnappschüsse aus einer Zeit, als dieser Dunkle Hafen noch sein Zuhause gewesen war. Er hatte nicht widerstehen können, den schmalen Behälter mit dem gefährlichen Inhalt an sich zu nehmen.
Auch jetzt bewegte seine Hand sich wieder wie von unsichtbaren Fäden gezogen darauf zu.
Chase nahm das Röhrchen in die Hand, das Metall kalt an seiner Haut. Das rote Wachssiegel auf dem Korken fühlte sich unter seinem Daumenballen glatt an. In dieser silbernen Kapsel war der allerletzte Rest der künstlichen chemischen Substanz, die im Herbst vor einem Jahr so viele Leben zerstört hatte – einschließlich das seines Neffen Camden.
Das Labor und der Mann, die die Droge produziert hatten, waren seit Langem Geschichte, aber Chase hatte diese letzte Dosis als Erinnerung an die Gefahr behalten, an deren Vernichtung er beteiligt gewesen war. Und als er sie jetzt ansah, musste er sich eingestehen, dass er das giftige Pulver auch aus einem anderen Grund behalten hatte. Es war sein letzter Ausweg. Wenn er seinen Kampf gegen die Blutgier nicht mehr ertragen konnte, hatte er hier die Garantie dafür, ihn in einem einzigen Augenblick beenden zu können.
Eine einzige Dosis Crimson würde ausreichen, um ihn schlagartig in einen wahnsinnigen Rogue im Blutrausch zu verwandeln. Genau wie es Camden und zu vielen seiner jungen Freunde im letzten Jahr ergangen war. Aber in diesem harmlosen Behälter aus poliertem Silber war eine tödliche Dosis der Droge. Mehr als genug.
Chase rollte den schlanken Zylinder in seiner Handfläche herum und sah ihn als das, was er wirklich war: seine Selbstmordpille.
Er war schon halb hinüber, und das ganz aus eigenem Verschulden. Wie viel schlimmer musste es noch werden, bis das Crimson ihm als seine beste Option erschien?
Im Nebenraum regte sich etwas, und seine Gedanken richteten sich schlagartig auf unmittelbarere Probleme. Tavia wachte auf. Vor Sonnenuntergang war sie endlich eingeschlafen, erschöpft in dem Sessel zusammengesunken, wo er sie zurückgelassen hatte. Jetzt war es tiefe Nacht, und während sie geschlafen hatte, war Chase schon draußen gewesen und hatte eingekauft. Er legte das Crimson auf den Waschtisch und ging ins Arbeitszimmer hinüber.
Sie saß jetzt aufrecht, den Hotelbademantel wie eine Decke um sich gewickelt, die Hände immer noch auf den Rücken gefesselt. Als er den Raum betrat, hob sie langsam den Kopf, ihre Bewegungen waren schwerfällig und apathisch. Sie stöhnte vor Anstrengung und befeuchtete sich die trockenen Lippen mit der Zungenspitze. »Wie spät ist es?«
Chase zuckte mit den Schultern, als er sich ihr näherte. »So gegen zehn.«
Wieder stöhnte sie und schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Zu lange. Ich habe noch nie so lange meine Medizin nicht genommen.«
»Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie erst was gegessen haben.« Chase zeigte auf den Couchtisch neben ihr, wo die Papiertüte eines Feinkostgeschäfts und eine Flasche Wasser standen. »Ich hab Ihnen ein Sandwich geholt.«
Sie verzog das Gesicht, als widerte der bloße Gedanke sie an. »Ich habe keinen Hunger. Mir ist schwindlig. Ich muss hier raus. Mir tut alles weh, und meine Haut … ist überall ganz angespannt.«
Chase stieß einen Grunzlaut aus. Was sie da beschrieb, war genau, wie er selbst sich fühlte, sein Körper kaum erholt nach dem letzten Anfall seiner Blutgier, die ihm den größten Teil des Tages und bis in die Nacht zugesetzt hatte. Er hatte gelitten wie ein Hund. Als er vorhin draußen gewesen war,
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