Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Mann hieß?«
Wieder entstand eine Pause, in der Afrikas Seele Anlauf nahm, um in Assads nahöstliche Höhle einzudringen. Wieder eine Pause, in der die Frau so in Gedanken versunken war, dass sie das Gespräch vergessen zu haben schien.
»William Stark?«, schlug Carl aus dem Hintergrund vor.
Sie hob den Blick und schüttelte den Kopf.
»Nein, so hieß er nicht. Ich kann mich nicht an den Namen erinnern. Ich weiß nur noch, dass sehr viele ›e‹ darin vorkamen.«
Carl fing Assads Blick auf, aber im selben Moment begann das Handy in seiner Tasche zu rumoren. Verdammt schlechter Zeitpunkt.
»Ja!«, sagte er verärgert, ohne vorher aufs Display zu schauen. »Es passt gerade gar nicht. Versuchen Sie es in einer halben Stunde noch mal.«
»Hallo Carl. Entschuldigen Sie. Hier ist Lisbeth. Mit der Sie in der Bibliothek Brønshøj gesprochen haben.«
»Ui«, stöhnte er reflexhaft. So konnte es sich anfühlen, wenn einen die Stimme einer Frau ins Mark traf.
»Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert. Aber der Junge sitzt jetzt wieder in der Bibliothek in der Dag Hammarskjölds Allé.«
24
Marco checkte die Zeitanzeige am Computer. Es war 18.10 Uhr, es dauerte also noch eine Weile, bis die Bibliothek schloss. Warum aber sahen die Bibliothekarinnen an der Ausleihe ständig zu ihm herüber und anschließend auf die Armbanduhr, als blieben ihm nur noch fünf Minuten?
Stand er hier etwa unter Beobachtung?
Er drehte den Bildschirm so, dass sich ihre Körper darin spiegelten. Täuschte er sich, oder steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten?
Auf die mit den kurzen braunen Haaren, die sie Lisbeth nannten, achtete er besonders. Die schien überall gleichzeitig zu sein. Erst hatte er sie jeden Tag hier gesehen, in dieser Zweigstelle, dann war sie auf einmal in Brønshøj aufgetaucht, und jetzt war sie wieder hier. Und immer war ihm ihr Blick gefolgt, das hatte er deutlich gespürt. Vielleicht sollte er nicht mehr herkommen, diese Aufmerksamkeit irritierte ihn.
Er drehte den Monitor wieder zurück und recherchierte weiter. Es war einfach uferlos: Es gab in Kopenhagen viel zu viele Polizisten mit diesem Namen – den man obendrein mit C und mit K schreiben konnte, wie er gerade gelernt hatte. Und da er weder den Nachnamen des Beamten kannte noch seinen Rang, blieben ihm als Suchwörter nur »Carl« oder »Karl« und »Polizei«. Sofort erschienen jede Menge Fotos des schwedischen Königs, außerdem ein Foto eines uniformierten Polizisten namens Carl Åge, der dem Mann, den er gesehen hatte, nicht im Geringsten ähnelte. Ansonsten zigtausend irrelevante Treffer. Auch eine weitere Eingrenzung durch Suchwörter wie »Kriminal« in Verbindung mit »Kopenhagen« brachte nichts.
Als Marco irgendwann auf der Website des Ekstra Bladet landete, überflog er dort einen Artikel über einen gerade gelösten Fall von massenhaften illegalen Abtreibungen. Und da plötzlich entdeckte er beim Hinunterscrollen, neben einem Statement über den verantwortlichen Gynäkologen, ein Foto seines Polizisten!
Irgendwie beruhigte ihn das Bild: Der Typ hatte die Jacke schief zugeknöpft und lächelte die Fotografen mürrisch an, neben ihm eine schwarzhaarige Punkerin und ein etwas kleinerer, ziemlich dunkler Mann. Ihm fühlte sich Marco auf seltsame Weise verbunden – woran auch immer das liegen mochte, an den Augen vielleicht, dem gelassenen Blick, den schwarzen Locken, der Hautfarbe.
Carl Mørck, Rose Knudsen und Hafez el Assad hießen die drei. Nun kannte er also den vollen Namen des Polizisten, der anscheinend nicht nur ein erfolgreicher Ermittler war, sondern auch ein Spezialist für alte ungelöste Fälle von besonderem Interesse, so stand es jedenfalls in dem Artikel.
Gedankenverloren starrte Marco vor sich hin. War das nicht genau der Mann, den er brauchte?
Er tippte »Carl Mørck« in die Suchmaske ein und klickte sich durch die Trefferliste. Nicht alle Informationen über den Kommissar boten Anlass zur Zuversicht. Unter anderem las er, dass Mørck bei einer Schießerei auf Amager unter fragwürdigen Umständen angeschossen worden sei und danach länger pausiert habe – und dass sein ruppiges Temperament in Polizeikreisen geradezu legendär sei.
Na, mit Leuten, die ein ruppiges Temperament hatten, kannte Marco sich aus.
Er gab dem Bildschirm einen kleinen Schubs, um noch einmal das Spiegelbild der Bibliothekarin sehen zu können. Schon wieder steckten sie und ihre Kolleginnen flüsternd die Köpfe zusammen und sahen zu ihm
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