Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
herüber. Da schrillten bei Marco erste Alarmglocken. Sein Blick huschte zu der gläsernen Eingangstür.
Dort hatte sich einer der Mitarbeiter postiert, und auch er schien Marco zu beobachten.
Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, stand Marco auf und setzte sich an den Computer am Nachbartisch. Wenn er schon nicht durch die Glastür entkommen konnte, musste er es ausnutzen, dass die Bibliothek zu ebener Erde lag: Es war keine große Sache, aus dem Fenster zu springen. Direkt hinter der Bibliothek lag der Parkplatz.
Er griff sich ein beliebiges Buch, setzte sich wieder an den Computer und tat so, als würde er das Gelesene im Internet überprüfen.
Vielleicht bildete er sich das alles ja nur ein, und die Blicke waren Zufall? Warum sollten sie sich für ihn interessieren? Er hatte sich in der Bibliothek doch immer vorbildlich benommen.
Aber was, wenn er sich täuschte? Hatte er womöglich Sachen in dem Schränkchen über dem Stromzähler vergessen, die sie gefunden hatten? Nein, dort lag nichts mehr von ihm, das wusste er genau.
Er sah aus dem Fenster zum Parkplatz und dem dahinterliegenden Gebüsch. Alles wirkte ruhig. Ab und zu fuhr ein Auto auf einen der schrägen Stellplätze. Die Leute, die ausstiegen, blickten meist zufrieden drein. Sie genossen offenbar den milden Maiabend mit seinem hellen, klaren Licht. Marco konnte sie verstehen. Das Licht gefiel ihm an Kopenhagen auch besonders gut.
Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu und rekapitulierte, was er über den Polizisten herausgefunden hatte. Und je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich: Sein Wissen war bei diesem Mørck am besten aufgehoben. Aber wie konnte er ihm seine Informationen zustecken, ohne dem Mann persönlich zu begegnen? Denn das konnte er nicht riskieren – nicht als staatenloser Minderjähriger mit einschlägiger krimineller Karriere.
Noch einmal gab Marco den Namen ein und surfte ein paar Minuten. Anscheinend war dieser Carl Mørck eine interessante Nummer für Journalisten, denn über mehrere seiner Fälle wurde ausführlich berichtet: eine verschwundene Politikerin, Brandstiftung, eine Entführungsserie, eine geheime Bruderschaft, die illegale Abtreibungen durchführte und vieles mehr. Sonderdezernat Q hieß seine Abteilung.
Marco setzte seine Ohrhörer auf und klickte sich zu ein paar TV-Clips durch über diesen Mørck, seinen dunkelhäutigen Assistenten und die merkwürdige Kollegin.
Von Carl Mørck hatte man schnell ein klares Bild, aber sein Assistent, dieser Assad, war schwerer einzuschätzen. Die Fernsehmitschnitte veränderten Marcos Eindruck von dem Mann. Auf den ersten Blick wirkte er immer noch nett und herzlich, aber die Mimik und der Ausdruck seiner Augen hatten etwas Undefinierbares, Beunruhigendes. Etwas Dunkles, Lauerndes.
Der hat Geheimnisse, dachte Marco, die er um nichts in der Welt preisgeben will. Hinter den Lachfältchen verbirgt er ein scharfes Messer. Der ist viel zu wachsam, um einen Taschendieb in seine Nähe zu lassen.
Nein, ganz klar, diesen Mann musste er meiden.
Als Marco nach ein paar Minuten feststellte, dass das Internet nichts, aber auch rein gar nichts über Carl Mørcks Privatleben hergab, ging er auf Google Maps und suchte das kleine Waldstück, in dem er sich am Tag seiner Flucht vor dem Clan versteckt hatte. Dann druckte er den Ausschnitt aus und markierte die Stelle, wo er meinte, die Leiche gesehen zu haben.
Wieder schaute die Bibliothekarin mit den kurzen braunen Haaren auf die Uhr und dann in seine Richtung. Sie sah ihn nicht direkt an, aber direkt genug.
Warum überprüfte sie immerfort die Uhrzeit? Und warum stand ihr Kollege an der Eingangstür? Soweit Marco erkennen konnte, hatte er dort doch gar nichts zu tun.
Da hörte man, wie ein Auto von der Straße auf den Parkplatzeinbog und kurz darauf scharf bremste. Fast unmerklich veränderte sich der Gesichtsausdruck der Bibliothekarin. War sie erleichtert?
Instinktiv hob Marco die Hand zum Riegel des Fensters, vor dem er saß.
Im selben Moment wurde es an der Ausleihe merkwürdig unruhig, und er meinte zu sehen, dass diese Lisbeth dem Mann an der Glastür zunickte, woraufhin der sich in die Richtung bewegte, wo Marco saß – und zwar so betont beiläufig, dass es auffälliger kaum ging.
Die Fensterscheiben vibrierten, als draußen auf dem Parkplatz die Autotüren zugeschlagen wurden. Aus dem Augenwinkel sah Marco zwei Gestalten auf den Eingang der Bibliothek zurennen, die eine mit flatternder Jacke, die
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