Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
ausstehen. Was war ihm bloß aufgefallen, was er, Carl, nicht sah?
Zola lächelte. »Wir sind keine dänischen Staatsangehörigen, deshalb hat auch keiner von uns eine Personennummer. Wir wohnen nur zeitweise hier, und die Häuser gehören unserer Gesellschaft.«
»Häuser?«, fragte Carl.
»Ja, dieses hier und das nebenan. Marco heißt mit Nachnamen Jameson, er ist fünfzehn Jahre alt. Ein seltsamer Junge. Aufsässig und vollkommen maßlos. Obwohl wir unser Bestes getan haben.«
»Was machen Sie hier in Dänemark?«, hakte Assad nach.
»Oh, wir treiben Handel. Mit allem Möglichen. Kaufen dänisches Design und verkaufen es im Ausland. Importieren Teppiche und Figuren aus Afrika und Asien. Wir sind eine alte Händlerdynastie, und alle in der Großfamilie helfen mit.«
»Was heißt das, Großfamilie?« Assads polemischer Unterton war nicht zu überhören. Fehlte nur noch, dass er den Mann biss.
»Einige von uns stammen aus derselben Familie, andere sind im Lauf der Jahre zu uns gestoßen.«
»Und woher kommen Sie?«, fragte Carl.
Betont ruhig wandte sich Zola Carl zu. Er schien einen Moment lang nicht zu wissen, vor wem er sich mehr in Acht nehmen sollte.
»Wir kommen aus allen möglichen Gegenden der Welt«, sagte er. »Ich selbst stamme aus Little Rock, andere kommen aus dem Mittleren Westen, auch ein paar Italiener und Franzosen gehören dazu. Von allem etwas.«
»Und Sie sind ihr Gott.« Assad nickte bedeutsam in Richtung der plakatgroßen Porträtfotos an den Wänden.
Zola lächelte. »Keinesfalls. Ich bin lediglich das Oberhaupt des Clans.«
Da betrat, begleitet von dem Hünen, ein Mann den Raum, dessen Züge wie die von Zola etwas Lateinamerikanisches hatten. Auch hatte er die gleiche etwas dunklere Hautfarbe. Es war ein gut aussehender Typ mit pechschwarzem Haar, braunen Augen und hohen Wangenknochen.
»Mein Bruder«, stellte Zola ihn vor. »Wir haben gleich noch Geschäftliches zu besprechen.«
Carl nickte ihm zu. Der Neuankömmling ging leicht gebeugt, er wirkte freundlich, aber scheu.
»Trotzdem, was hat es denn zu bedeuten, wenn Sie sagen, nicht alle gehören zur Familie? Handelt es sich um eine Art Kollektiv? Oder eine Bruderschaft?« Assad ließ nicht locker. Nun machte er sich auf seinem Block Notizen. Doch in Carls Augen bluffte er nur.
»Ja, mein Freund. So etwas in der Art. Von allem ein wenig.«
»Und wer«, fuhr Carl fort, »ist hier mit diesem Marco verwandt? Können wir mit seinen Verwandten sprechen?«
Zola schüttelte langsam den Kopf und warf dem Mann neben sich einen Blick zu. »Bedaure. Die Mutter ist mit einem anderen Mann weggelaufen, und der Vater ist tot.«
***
Jetzt war für Zola Gewissheit, was er schon lange befürchtet hatte: Marco hatte sie verpfiffen.
Es war genau das eingetreten, was sie immer hatten vermeiden wollen. Zola fühlte sich unter Druck, umso mehr, als er es sich auf keinen Fall anmerken lassen durfte.
Wie er die Blicke dieses Arabers hasste, die emsig über die Fotos und Blumenkränze an den Wänden, über die silbernen Figuren und goldenen Kerzenleuchter schweiften. Er war ein lästiger Primitivling, aber darüber hinaus hatte er, anders als der Däne, etwas, das Zola beunruhigte.
Okay, welche Möglichkeiten habe ich?, überlegte Zola, während er sich die dämlichen Fragen des Dänen anhörte.
Sollen wir sie verschwinden lassen oder verschwinden wir?, wog er ab, während der Polizist ihn nach Marcos Verwandten fragte und wissen wollte, ob er mit ihnen reden könne.
»Bedaure.« Er sah seinen Bruder an. »Die Mutter ist mit einem anderen Mann weggelaufen, und der Vater ist tot.«
Ja, großer Bruder, sagten seine Augen. Du hast den Jungendoch schon längst verloren. Wird Zeit, dass du es endlich kapierst.
Er wandte sich wieder dem Dänen zu. Ihr beiden habt Starks Grab gesehen, und ihr seid nicht dumm. Ihr haltet es für durchaus möglich, dass ihr einem Mörder gegenübersitzt. Er nickte in Gedanken. Und genau das tut ihr auch, ihr Arschlöcher. Und wenn ihr jetzt noch etwas fragt, das mich in die Enge treibt, dann lass ich euch tatsächlich gleich hier verschwinden. Platz, um euch zu vergraben, gibt’s genug.
»Uns liegt eine Suchanzeige des Mannes vor, von dem wir vermuten, dass er dort auf dem Hügel verscharrt lag«, sagte der Däne und zeigte ihm das Plakat. »Wie Sie sehen, hatte der Mann rote Haare. Und Haare in genau dieser Farbe haben wir dort oben in der Erde gefunden. Was sagen Sie dazu?«
»Das klingt schrecklich. Was soll
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