Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
war.«
»Kann ich das Auto nehmen, Carl? Bis Kregme ist es ziemlich weit.«
»Das Auto? Ich meinte nicht, dass du da noch einmal hinmusst,Assad. Ein paar Anrufe bei der Polizei und den Schulen vor Ort, das muss doch wohl genügen.«
Assad nickte. »Reingefallen, Carl. Du bist wie das Kamel, das erfährt, dass es mit einem Dromedar verheiratet werden soll …«
Er klopfte sich auf die Schenkel vor Lachen und konnte sich gar nicht wieder einkriegen.
Carl gab sich geschlagen.
Er war gedanklich weit weg, als er auf der Wendeltreppe am zweiten Stock vorbei nach oben ging.
Eine DNA-Analyse der Haare und eine gründliche technische Untersuchung des Erdlochs konnten lediglich klären, ob William Stark tatsächlich darin gelegen hatte, mehr nicht. Auf aussagekräftige Spuren oder handfeste Beweise konnten sie kaum spekulieren, die gab es vor allem in schlechten Krimis: Notizzettel mit entlarvenden Informationen, Reinigungsquittungen mit Datumsaufdruck, Zigarettenkippen mit DNA-Spuren oder Fußabdrücke mit charakteristischem Sohlenprofil. Und selbst wenn die gütige Vorsehung damals doch Material dieser Art am Tatort platziert hatte, hätten die Jahre und die Witterung nicht viel davon übrig gelassen. Wozu also sollte eine technische Untersuchung des Fundorts nützen? Dass Starks Leiche dort gelegen hatte, das verriet ihm sein Instinkt, dafür brauchte er keinen DNA-Test.
Aber was war unter diesen Voraussetzungen der nächste Schritt? Sie mussten Marco finden, das war am dringlichsten. Die Fahndung war rausgegangen, zwar mit dürftiger Personenbeschreibung und schlechtem Foto, aber immerhin. Migrantenkinder in Gruppen sah man überall, aber ein Jugendlicher, der allein durch die Straßen streifte, fiel auf. Andererseits wusste Carl, dass ein Junge, der aus einem Haus weglief, wo ein Mann wie Zola regierte, der Bibliotheken aufsuchte und sich in eine Polizeiwache wagte, um ein Verbrechen für einen fiktivenFreund anzuzeigen, dass so einer gelernt hatte, niemand anderem zu vertrauen als sich selbst.
Das Persönlichkeitsprofil dieses Jungen würde ich gern mal mit Mona diskutieren, dachte er und stellte sich vor, wie er ihre dunkle Stimme aus dem zweiten Stock rufen hörte.
Er runzelte die Stirn. Plötzlich hatte er das Gefühl, als setze sein Herz für ein paar Schläge aus. Es tat nicht direkt weh, aber ihm wurde schwindlig, und er musste sich kurz an der Wand im Treppenhaus abstützen.
Verdammter Mist, warum muss das ausgerechnet hier passieren, dachte er, wo ein einziges Kommen und Gehen herrscht?
Mit dem Rücken glitt er an der Wand hinunter, bis er auf einer der Treppenstufen saß.
Er versuchte, ruhig und gleichmäßig durchzuatmen, während unzählige Mona-Gedankenschnipsel wie in einem Höllenkarussell durch seinen Kopf wirbelten. Vollkommen unkontrollierbar.
Was war denn eigentlich in der letzten Zeit mit ihr los gewesen? Plötzlich war sie in eine Praxisgemeinschaft gezogen, und er musste mit der Sekretärin vorliebnehmen. War dieser Patient, mit dem sie da zusammensaß, wirklich so wichtig, dass sie nicht kurz ans Telefon gehen konnte, wenn er anrief? Und überhaupt: Was hatte die Sekretärin damit gemeint, als sie sagte, man könne Monas Patienten nicht wirklich als Patienten bezeichnen? Wenn er kein Patient war, was zum Teufel war er dann? War ihm Mona während der Arbeitszeit etwa untreu? Lief es wie bei Gordon und Rose, wo der Schreibtisch … Fand sie das aufregender, als wenn er …
Carl stand der Schweiß auf der Stirn, er spürte, wie sich ein Geruch von Tod und Verfall breitmachte. Alles lief auf ein Bild hinaus. Hardy gelähmt zu Hause. Hardy, der weinte. Dazu das Echo der Schüsse in der Baracke auf Amager.
»Scheiße, Scheiße, dreimal Scheiße«, sagte er laut und versuchte, sich aufzurichten.
Direkt vor dem Treffen mit Mona, als er ihr den Heiratsantrag hatte machen wollen, hatte er am ganzen Körper gezittert. Aber warum hatte er hinterher überhaupt nicht gezittert? Stimmte mit ihm etwas nicht, oder hatte er in der Zwischenzeit irgendeine Erkenntnis gehabt?
Carl hatte jetzt stechende Schmerzen im Brustkorb. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Zog der Schmerz in den linken Oberarm? Nein, Gott sei Dank nicht. Also kein Blutpfropf.
Du Weichei, reiß dich am Riemen, ermahnte er sich. Aber die Beklommenheit wollte nicht weichen.
Hat Mona recht?, dachte er. Beschränkt sich unsere Beziehung wirklich aufs Bett? Na ja, in der Praxis vielleicht, und rein statistisch
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