Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
hinter einen Baum zurück und beobachtete, wie sein Vater und Zola den nächsten Laden betraten. Es sollte Menschen wie Zola und seinem Vater verboten sein, in die Nähe von Kindern zu kommen, dachte er verbittert.
Den Radfahrer, der vom Trianglen-Platz her kam, hatte er durchaus wahrgenommen – schon deshalb, weil Fahrrad und Fahrer eindeutig nicht zusammenpassten. Nein, das sah wirklich ein Blinder, dass der Typ nicht der Besitzer eines so teuren, neuen Rades sein konnte. Womit Marco jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass der Radler plötzlich mit Schwung den Bordstein hochfuhr und direkt auf ihn zuhielt. Nicht mehr als zwei Schritte schaffte Marco, da war der Kerl bereits auf seiner Höhe.
Auf dem Radweg waren noch andere Radfahrer unterwegs, die Marco mit lauten Rufen warnten. Aber dieser wusste, was er tat, als er sich instinktiv zur Seite warf, sodass sein Verfolger ins Leere griff. Reflexartig zückte Marco das Küchenmesser und stach dem Kerl in die Ferse. Der stürzte brüllend vor Schmerz vom Fahrrad, während Marco losrannte.
»Nicht da lang, Marco!«, hörte er jemanden auf der anderen Straßenseite rufen. Marco blieb verdutzt stehen und sah in etwa hundertfünfzig Metern Entfernung einen Mann um die Ecke der Ryesgade biegen und auf ihn zusprinten.
Marco warf einen hektischen Blick über die Schulter. Untenvom Bahnhof Østerport näherte sich ein freies Taxi, und Marco lief quer über die Straße, um es anzuhalten.
»Da ist noch einer!«
Marco erblickte den Radfahrer, der sich wieder aufgerappelt hatte, und erkannte erst dann die Stimme, die gerufen hatte. Und eine Sekunde später entdeckte er seinen Vater, der die Hände wie ein Megafon an den Mund hielt und zu ihm hinüberbrüllte. Er wollte gerade wieder ansetzen, als Zola sich ihm von hinten näherte und ihm einen so heftigen Stoß in den Rücken versetzte, dass er über den Radweg auf die Straße strauchelte.
Fassungslos sah Marco, wie ein nahender Bus ins Schleudern geriet, und entsetzt schrie er mit allen anderen Augenzeugen auf, als sein Vater darunter verschwand. Aber schon musste er sich selbst einer neuen Bedrohung stellen. Ein dritter Verfolger näherte sich von der Classensgade. Es war einfach nur unerträglich: Sein Vater war überfahren worden, und er selbst, umzingelt von Verfolgern, stand am Bordstein und winkte nach einem Taxi.
Hinter dem Steuer der Taxe saß ein junger Typ, einer dieser Migranten, die selbst kein Auto hatten und froh waren, das eines anderen fahren zu können, Hauptsache es hatte Ledersitze und beschleunigte anständig.
»Fahr!«, schrie Marco. »Fahr los!«
Zwei seiner Verfolger kamen bis an den Wagen heran und hämmerten mit den Fäusten dagegen, aber der Fahrer zeigte ihnen nur den Mittelfinger und trat das Gaspedal durch.
Deshalb konnte Marco, als sie an dem verunglückten Bus vorbeirasten, seinen Vater auch nicht genau ausmachen, aber er sah das viele Blut und die entsetzten Gesichter der Umstehenden. Der Busfahrer saß zusammengesunken hinterm Steuer, die Hände vors Gesicht geschlagen. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten Marcos Augen denen von Zola. Höchst genervt und ansonsten völlig ungerührt, stand er inmitten deraufgebrachten Menschen, von denen offenkundig niemand gesehen hatte, wie es zu dem Unfall gekommen war.
Genau das erwartet dich auch, vermittelte ihm Zolas Blick.
»Schrecklicher Unfall. Passiert viel zu oft, wenn du mich fragst. Die Leute fahren so beschissen.« Der Chauffeur sah Marco im Rückspiegel an. »Wo willst du hin?«
Marco hatte den Kopf in den Nacken gelegt und konzentrierte sich darauf, sich nicht zu übergeben. Sein Vater hatte versucht, ihn zu warnen! Zu retten! Und dafür hatte Zola ihn umgebracht. Seinen Vater! Marco sah dessen braungrüne, warme Augen vor sich. Erinnerungen aus einer fernen Zeit, das war ihm bewusst. Aber eben gerade hatte sein Vater zu ihm gestanden. Was bedeutete dann schon, was dazwischen geschehen war? Jetzt war sein Vater tot. Und Zola würde davonkommen. Und da fragte ihn der Taxifahrer, wo er hinwolle?
Noch vor fünf Minuten hätte er gesagt, zum Grenzbahnhof. Gestern hätte er gesagt, zu Tildes Haus in Valby. Jetzt wusste er es nicht mehr …
Zola mordete kompromisslos und mit Kalkül. Eben hatte Marco gesehen, wie unbeteiligt er das tat. Mit demselben Zynismus musste er Miryam zum Krüppel gemacht und William Stark ermordet haben. Und vermutlich noch diverse andere. Und genau so würde er auch ihn umbringen. Ohne mit der Wimper
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