Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Grundstück stürmte, wirkte die Umgebung wie ausgestorben. Zwischen den Bäumen lagen die Häuser still im Dunkeln, nirgendwo brannte Licht. Nur etwas weiter die Straße hinunter war ein einzelner schwacher Widerschein von einem Fernseher zu erahnen.
Er rannte auf das Haus zu. Ich schaff es nicht, ich schaff es nicht – nichts anderes konnte er denken. Er versuchte, mit seinen nackten Füßen nicht über die Bordsteinkante zu stolpern. Es regnete, kalte Tropfen sammelten sich auf seinem Gesicht. Sie würden ihn einholen, ehe er die Leute im Haus dazu gebracht hatte, ihre Hintern aus den Fernsehsesseln zu heben. Nein, er musste sich etwas anderes überlegen.
Im Laufen drehte er sich um. Zwei seiner Cousins hatten sich Chris angeschlossen, und sie waren verdammt schnell. Kurz entschlossen warf sich Marco auf den Bauch und kroch durch ein Loch in der Hecke. Mit etwas Glück würden die anderen da nicht durchpassen.
Wenn es ihm gelang, die Landstraße hinter dem Grundstück zu erreichen, hatte er vielleicht eine Chance.
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da war der Garten in gleißendes Licht getaucht: ein Scheinwerfer mit Bewegungsmelder. Er sah noch, wie die Bewohner hinter der Gardine im Wohnzimmer erschienen, dann war er schon durchdie nächste Hecke gekrochen und rollte sich in den Straßengraben.
Hinter sich hörte er die Rufe seiner Verfolger. Aber Marco hatte nur Augen für das Waldstück auf halber Strecke zu der Anhöhe, einige hundert Meter weiter.
Dorthin musste er, denn sie würden jeden Augenblick aus der Nebenstraße kommen und ein Stück weiter unten die Landstraße erreichen. Schaffte er es nicht rechtzeitig bis in den Wald, war er erledigt.
Zwei bläuliche Lichtkegel von Halogen-Scheinwerfern schoben sich über die Hügelkuppe und ließen die regennasse Landstraße zu einer glitzernden Brücke in die Freiheit werden. Wenn er jetzt auf die Fahrbahn lief und das Auto zum Halten brachte, hatte er vielleicht eine Chance. Oder sollte er sich gleich davorwerfen und dem ganzen Elend ein Ende machen?
»Stopp!«, rief er dem Auto entgegen und winkte wild mit den Armen. Dann rannte er direkt auf die beiden Scheinwerfer zu.
Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass seine Verfolger die Häuser umrundet hatten und bereits unten an der Fahrbahn standen. Aus der Entfernung konnte er nicht erkennen, wer es war, aber es mussten die Cousins sein und noch ein paar der anderen Kinder. Er musste den Fahrer überzeugen, ihn mitzunehmen, sonst würden sie ihn in null Komma nichts eingeholt haben.
Hektisch betätigte der Fahrer die Lichthupe, ohne auch nur einen Millimeter vom Gas zu gehen. Marco hatte sich schon in sein Schicksal ergeben, dann hörte er es quietschen und sah, wie der Wagen über den Mittelstreifen schlingerte, direkt auf ihn zu. Nur wenige Zentimeter vor Marcos Knien kam der Wagen zum Stehen. Der Fahrer brüllte wild gestikulierend durch die Windschutzscheibe, während die Scheibenwischer weiter hin- und hersausten.
Marco rannte um den Wagen herum, und noch ehe derMann reagieren konnte, hatte er die Beifahrertür aufgerissen.
»Was zum Teufel machst du da, du Arsch!«, schrie der Typ. Er war kreidebleich.
»Bitte, fahren Sie! Bitte! Die Männer da vorn sind hinter mir her, fahren Sie, ich bitte Sie!« Verzweifelt deutete Marco in Richtung seiner Verfolger.
Da wechselte die Miene des Mannes schlagartig von Schock zu Wut.
»Scheiß-Pakis, macht euer Zeug doch unter euch aus!«, schrie er und holte mit der Faust aus.
Der Schlag war kein Volltreffer, aber er genügte, um Marco rückwärts auf die Straße zu befördern. Der Mann schrie ihm noch irgendwas hinterher, dann knallte er die Beifahrertür zu.
Marco spürte den Asphalt durch den dünnen Schlafanzug. Aber mehr als der Sturz schmerzte es zu sehen, wie das Auto beschleunigte und die Scheinwerfer direkt auf seine Verfolger zurasten.
»Stoppt den Wagen!«, hörte er Chris von weiter unten brüllen. Die dann folgenden dumpfen Schüsse verfehlten ihr Ziel, und der Fahrer hielt jetzt voll auf Marcos Verfolger zu. Die retteten sich mit einem Satz zur Seite. Dann war das Auto verschwunden.
Während Marco über die Böschung ins Unterholz des Waldes robbte, hörte er ihr Geschrei. Gut so. Sie glaubten tatsächlich, er sei ihnen im Auto entkommen.
Marco zog ein paar Äste zur Seite. Soweit er sehen konnte, hatten sich noch zwei Erwachsene zu der Verfolgergruppe gesellt. Den Umrissen nach zu urteilen, waren es Zola und sein
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