Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Zwecke einspannen. Solange Zola seinen eigenen Clan und die Osteuropäer in Schach halten konnte, war alles gut. Aber er wusste genau: Sobald er das kleinste Zeichen von Schwäche zeigte, gäbe es etliche, die ihn ohne jeden Skrupel vom Thron stürzen würden.
Deshalb bemühte sich Zola stets, die Kontrolle und die Oberhand zu behalten: durch regelmäßige Machtdemonstrationen und gezielte Bestrafungen. Jeder im Clan wusste, dass es am gesündesten war, die Regeln zu befolgen und die Klappe zu halten.
Nun war allerdings eine Entwicklung eingetreten, die er nicht mehr in der Hand hatte. Für dieses Zeichen von Schwäche durfte es keine Zeugen geben. Das galt auch für Chris, den treuesten seiner Jünger. Deshalb schloss Zola sich zum verabredeten Zeitpunkt in sein Schlafzimmer ein und wartete.
»Wir haben einen Abtrünnigen«, kam er ohne Umschweife zur Sache, als sein Kontaktmann anrief.
Eine ungemütliche Pause entstand.
Auch wenn der Mann am anderen Ende regelmäßig Zolas Leute anheuerte, um Drecksarbeiten zu erledigen, war er sehr wohl in der Lage, das selbst zu tun, wenn es sein musste. Mehrere seiner Quellen hatten Zola das bestätigt. Und die Bedingungen waren von Anfang an glasklar gewesen. Wenn etwas schiefging, lag die Verantwortung ausschließlich bei Zola. Und war Zola nicht in der Lage, diese Verantwortung angemessen zu übernehmen, musste er die Konsequenzen tragen.
»Unsere Beziehung basiert auf Gegenseitigkeit«, hatte der Mann gesagt, als sie ihre Absprachen trafen. »Wir sind uns gegenseitig zu Einigkeit, Schweigen und Loyalität verpflichtet, und wenn Sie diese Verpflichtung nicht einhalten, wird Blutfließen. So sind die Bedingungen, da sind wir uns doch wohl einig?«
Es war also ernst. Dieser Mensch war zu allem imstande, das wusste Zola.
»Ein Abtrünniger«, wiederholte sein Gesprächspartner langsam. »Würden Sie bitte so freundlich sein und mir erklären, wie es dazu kommen konnte?«
Zola hatte keine Wahl, er musste es ihm sagen. »Einer der Jungs ist abgehauen. Und er hat sich auf der Flucht ausgerechnet in Starks Grab versteckt.«
»Passen Sie auf, welche Worte und Namen Sie in den Mund nehmen«, warnte die Stimme. »Wo ist der Junge jetzt?«
»Wir wissen es nicht. Aber die Suche nach ihm läuft.«
»Wer ist es?«
»Mein Neffe.«
»Haben Sie damit ein Problem?«
»Warum sollte ich?«
»Personenbeschreibung und Name?«
»Marco. Fünfzehn Jahre. Etwa eins fünfundsechzig groß. Schwarzes lockiges Haar, grünbraune Augen, relativ dunkle Haut. Keine besonderen Kennzeichen, fürchte ich. Er ist im Schlafanzug abgehauen, aber ich glaube kaum, dass er den noch trägt.« Zolas Versuch, einen Witz zu machen, zeigte keine Wirkung. »Wir wissen, dass er ein Schmuckstück vom Hals der Leiche mitgenommen hat. Irgend so ein afrikanisches Ding, eine Art Amulett. Wir können nur hoffen, dass er auf die Idee kommt, es zu tragen.«
»Wie bitte? Sie haben ein Schmuckstück bei der Leiche gelassen? Sind Sie bescheuert?«
»Es fiel uns erst ein paar Tage später ein, nachdem die Leiche schon vergraben war, und wir kamen nicht dazu, es zu holen.«
»Was sind Sie nur für Idioten!«
Zola presste die Lippen zusammen. Es war Jahre her, dass ersich so etwas hatte anhören müssen, und jeden anderen wäre das teuer zu stehen gekommen.
»Und der Nachname des Jungen?«
»Jameson.«
»Marco Jameson, okay. Spricht er Dänisch?«
»Er spricht alles Mögliche. Er ist ein intelligenter Junge. Etwas zu intelligent, wenn Sie mich fragen.«
»Dann spüren Sie ihn auf und liquidieren Sie ihn. Über welches Gebiet sprechen wir?«
Zola rieb sich die Stirn. Wüsste er das, wäre viel gewonnen. Was zum Teufel sollte er antworten? Dass jedes kleine Loch auf der Erdoberfläche als mögliches Versteck in Frage kam? Dass Marco so raffiniert und anpassungsfähig war, dass er sich buchstäblich überall aufhalten konnte, ohne aufzufallen? Dass man genauso gut ein Chamäleon im Urwald suchen konnte?
»Machen Sie sich darüber keinen Kopf«, sagte er so überzeugend wie möglich. »Unser Netz überzieht alle Orte auf Seeland. Und Kopenhagen knöpfen wir uns gesondert vor. Wir durchkämmen ein Viertel nach dem anderen, Straße für Straße. Wir suchen, bis wir ihn haben.«
»Wer ist darauf angesetzt?«
»Alle, die kriechen können. Clanmitglieder, die Rumänen, die Jungs aus Malmö und mein ukrainischer Hehler. Sein Netzwerk ist besonders groß.«
»Okay, ich muss nicht alles wissen.« Es folgte eine kurze
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