Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Pause. »Aber ich bleibe dicht dran, das ist Ihnen klar?«
Dann legte er auf. Doch ja, darüber war sich Zola im Klaren.
Marco hatte keine Chance.
7
Frühjahr 2011
Die Schatten waren schon lang, als Carl schließlich am Rønneholtpark den Wagen auf dem Parkplatz abstellte. An anderen Tagen hätte er das Licht der Dunstabzugshaube über den dampfenden Töpfen mit dem beruhigenden Gefühl wahrgenommen, zum Nest zurückgefunden zu haben. Nicht so heute. Scheißtage hatten eben ihren Preis.
Sein Untermieter winkte ihm von drinnen zu, und er winkte zurück. Heute wäre es ihm lieber, wenn außer ihm keine Menschenseele im Haus wäre.
»Hallo Carl, willkommen daheim. Wie wär’s mit einem Glas Rotwein?«, begrüßte Morten ihn.
Carl warf seine Jacke über den nächstbesten Stuhl. Ein Glas? An einem Tag wie heute wäre ihm eine Flasche lieber.
»Deine Ex-Frau hat angerufen. Vigga sagt, du bist mit den Besuchen bei ihrer Mutter in Verzug«, verkündete Morten.
Carl sah wieder zur Flasche. Leider war sie bereits halb leer.
Morten reichte ihm ein Weinglas und wollte ihm einschenken. »Du siehst ziemlich grau aus, Carl. War Rotterdam ein Flop? Oder hast du schon wieder einen neuen schrecklichen Fall am Hals?«
Carl schüttelte den Kopf, griff nach dem Handgelenk seines Untermieters und wand ihm vorsichtig die Flasche aus der Hand. Er würde sich selbst einschenken.
»Okay, okay!« Normalerweise gehörte es nicht zu Mortens Stärken, Carls Stimmungen zu sondieren, aber diesmal kapierteer offenbar, dass er jetzt besser die Klappe hielt. Er wandte sich den Töpfen zu. »Wir essen in zehn Minuten.«
»Wo ist Jesper?«, fragte Carl und kippte das erste Glas Rotwein runter – ohne jede Achtung vor Bouquet, Eichenfasslagerung oder Jahrgang.
»Das weiß der Himmel.« Abweisend schüttelte Morten den Kopf und spreizte dabei sämtliche Finger. »Er ginge zum Pauken rüber, damit hat er sich verabschiedet.« Perlendes Lachen zeigte an, was Morten davon hielt.
Carl fand das nicht ansatzweise so amüsant, es war schließlich nur noch ein Monat bis zum HF-Examen. Wenn Jesper da durchfiel, hätte er den dänischen Rekord in nicht abgeschlossenen Examina inne. Und was machte ein Einundzwanzigjähriger in Dänemark ohne Schulabschluss? Nein, sehr erheiternd war die Aussicht nicht.
»Aloha Carl«, tönte es vom Bett im Wohnzimmer. Aha, Hardy war aufgewacht.
Carl schaltete den allzeit laufenden Fernseher aus und setzte sich zu Hardy ans Bett.
Es war schon ein paar Tage her, seit er dem Freund so direkt ins blasse Gesicht geschaut hatte. Sah er da einen winzigen Funken im Auge des Gelähmten, oder täuschte er sich? Nein, irgendetwas war da in Hardys Blick, das einen an Verliebtheit denken ließ oder an ein eingelöstes Versprechen.
Aber davon ganz abgesehen, verfügte Hardy über eine eingebaute Sonde, die die Stimmungen der Umgebung aufnahm, eine Eigenschaft, die sich vermutlich über die Jahre beim Verhören Krimineller herausgebildet hatte. Und diese Sonde war jetzt geradewegs auf Carl gerichtet.
»Was ist passiert, altes Haus, Rotterdam war wohl nicht so der Hit?«
»Nein, nicht wirklich. Wir kommen mit dem Fall nicht weiter, Hardy, so leid es mir tut. In jedem Heimatfilm steckt mehr Substanz als in den Berichten der Holländer, vergiss es.«
Hardy nickte. Das war natürlich nicht das, worauf er gehofft hatte, aber merkwürdigerweise schien er sich trotzdem nicht zu ärgern. Und dann hatte er ihn »altes Haus« genannt. Wann hatte er das zum letzten Mal getan?
»Ich wollte dich dasselbe fragen, Hardy. Was ist passiert? Ich kann es dir ansehen. Irgendetwas ist passiert.«
Sein alter Kollege lächelte. »Ja, stimmt. Aber gib du doch erst mal selbst eine Einschätzung ab, Herr Vizepolizeikommissar, eine Vermutung, was passiert sein könnte, selbst wenn es vielleicht nicht so offensichtlich ist.«
Carl trank einen Schluck Rotwein und ließ den Blick über Hardys langen Körper wandern. Zweihundertsieben Zentimeter Hoffnungslosigkeit unter einer Bettdecke mit blütenweißem Bezug. Füße in Schuhgröße siebenundvierzigeinhalb, endlose knochige Beine und Spaghetti-Arme zeichneten sich darunter ab, Arme, die in alten Tagen jeden Verbrecher bei der Verhaftung in die Zange nehmen und jeden rebellischen Besoffenen auf Abstand halten konnten. Und jetzt war Hardy nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Das bestätigten auch die tiefen Furchen in seinem Gesicht, die Kummer und Sorge dort eingegraben hatten.
»Haben
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