Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
und bunte enge Tops, die Männer und Jungs dunkle Anzüge und schwarze Schuhe. Marco empfand es als widersinnig und unpraktisch, in schicken Klamotten auf der Straße zu sitzen und zu betteln. Aber bei den Taschendiebstählen war das anders. Da war die gute Garderobe eine hilfreiche Tarnung.
Auf diese Weise waren dreieinhalb Jahre vergangen.
***
In dem heftigen Schneetreiben hatte es lange gedauert, ehe Zola, sein Bruder und Chris die Stelle im Wald gefunden hatten, wo die Leiche vergraben lag. Der Hund, den sie mitgenommen hatten, war ihnen keine Hilfe gewesen. Frost und Wind hatten alle Gerüche aus der Landschaft entfernt, und sämtliche Sinneseindrücke verschmolzen in den eisblauen Farben und glitzernden Schneekristallen.
»Verdammt, das ist ja die Hölle, warum haben wir das nichtvor dem Wetterumschwung erledigt? Jetzt ist der Boden steinhart, wir müssen ihn aufhacken, um an die Leiche ranzukommen«, fluchte sein Bruder, aber Zola war darüber gar nicht so unglücklich. In gefrorenem Zustand ließen sich halb verweste Leichen deutlich leichter aus der Erde holen. Und sowieso: Am wichtigsten war doch, dass sie die Stelle überhaupt wiedergefunden hatten.
Als aber Chris die Leiche mit ein paar wenigen Spatenstichen vom Schnee befreit hatte und sich ihr rotes Haar beinahe leuchtend von der weißen Umgebung abhob, war Zola nicht mehr ganz so entspannt. Warum war der Tote nicht mit mehr Erde bedeckt?
»Glaubst du, das hat ein Tier getan?«, fragte sein Bruder.
Was für eine dämliche Frage! Welches Tier, das groß und stark genug war, einen Kadaver freizubuddeln, würde ihn nicht auch anfressen? Der Köter neben ihm konnte sich jedenfalls kaum noch zurückhalten, und das, obwohl die Leiche quasi tiefgekühlt war.
»Chris, ich hab dir gesagt, du sollst den Köter bändigen. Also bind ihn gefälligst an einen Baum und hackt die Leiche weiter frei.«
Dann wandte sich Zola an seinen Bruder. »Nein, kein Tier, das muss ein anderer Mensch gewesen sein, es sei denn, der Kerl war noch am Leben, als wir ihn hergeschafft haben.«
»Nee, der war tot«, versicherte sein Bruder.
Zola nickte. Klar war er das. Aber wer hatte dann die Erde weggekratzt, ohne den Fund anschließend zu melden? Die Spuren von scharrenden Fingern auf dem Boden waren doch deutlich zu erkennen.
Sein Blick inspizierte die Erde und das Loch und fiel dabei auf einen Tannenzweig, der über die Öffnung ragte. Er war voller Schnee, aber an der Spitze hing etwas, das dort eindeutig nicht hingehörte.
Er stieß mit dem Schuh gegen den Zweig, sodass der Schneewie eine glitzernde Wolke auf die Leiche rieselte. Zola kniff die Augen zusammen.
»Erkennt ihr das?« Zola deutete auf ein Stück Stoff, das an den Tannennadeln hing.
Zu sehen, wie alle Farbe aus dem Gesicht seines Bruders wich, war Antwort genug.
Zola überlegte. Fatal war wohl das richtige Wort für die Situation.
»Tja, jetzt wissen wir, warum wir Marco in der Nacht nicht gefunden haben. Wahrscheinlich hat er sogar gehört, was ich zu dir gesagt habe.«
Aus dem Blick, den ihm sein Bruder zuwarf, sprach die nackte Verzweiflung. Darin bestand der Unterschied zwischen ihnen beiden. Zola verzweifelte nie, und deshalb war er, der kleine Bruder, auch ihr Anführer geworden.
»Ich sehe, du bist dir darüber im Klaren, welche Schlussfolgerungen ich notwendigerweise hieraus ziehen muss.«
Sein Bruder zitterte. Er wollte nicken, aber es gelang ihm nicht.
»Ich habe keine andere Wahl. Marco muss verschwinden. Definitiv.«
Neben Geld gab es für Zola nur zwei Dinge, die wirklich zählten, und das waren der Gehorsam und die Ehrfurcht, die ihm seine Umgebung entgegenbrachte. Ohne diese hätte er den Clan nicht führen können. Ohne die Aura göttlichen Lichts, um die er sich unablässig bemühte, hätte es Grenzen gegeben für das, was er seinen Untergebenen abverlangen konnte.
Sie hatten gute Jahre gehabt in Dänemark. Das Schengen-Abkommen, die Polizeireform für mehr Bürokratie und weniger Präsenz auf den Straßen sowie die Kürzungen im öffentlichen Sektor – all das war für Zolas kriminelles Netzwerk von großem Vorteil gewesen. Hier oben in Kregme konnte man wohnen, ohne lästige Überprüfungen und Razzien zu riskieren,es sei denn, die Nachbarn verpfiffen einen. Von Dänemark aus konnte man Diebesgut unkontrolliert über die Grenzen schaffen. Und man konnte Balten, Russen und Afrikaner, die ebenfalls von der dänischen Überflussgesellschaft zu profitieren hofften, für seine
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