Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Erkrankung auf, das Kontakt suchte zu Menschen, die unter ähnlichen Symptomen litten.
Wie benommen starrte Marco auf den Namen, der ihm vom Bildschirm entgegenleuchtete: Tilde Kristoffersen hieß das Mädchen mit der Suchmeldung, das seinen Stiefvater verloren hatte. Den Stiefvater, den Marcos Vater …
Der Gedanke war so abstoßend, dass Marco ihn nicht zu Ende denken konnte.
Für einen Moment drang ein heller Lichtschein von der Eingangstür ins Innere des Cafés. Marco schreckte auf und sah sich hektisch um. Ein Mann in einer knielangen Kurta war eingetreten, ging auf Kasim zu und umarmte ihn. Keine Gefahr im Verzug, Gott sei Dank.
Marco stand auf und trat zu den beiden Männern. »Du,Kasim, kann ich bei dir ein Handy kaufen?«, fragte er. »Ich hab meins verloren.«
Der alte Inder antwortete nicht, bedeutete seinem Freund nur mit einer Geste, kurz zu warten.
Kasim zog Marco in ein Hinterzimmer, das nicht unbedingt indisch anmutete: helle Wände, Ikea-Möbel mit Schubladen in allen Größen, ein grün-gelb gesprenkelter Schreibtischstuhl, ein Radio, aus dem klassische Musik drang.
»Hier, nimm eins von denen.« Kasim zog eine der vielen Schubladen auf. »Ich hab massenhaft alte Handys. Aber die SIM-Karte musst du bezahlen. Brauchst du eine für Auslandsgespräche? Die kannst du auch hier kaufen.«
»Danke, nein, eine ganz normale Prepaidkarte. Hast du eine für zweihundert Kronen?« Marco zog einen Geldschein aus der Tasche. »Leider hab ich im Moment nur fünfzig Kronen, aber du weißt doch: Du kannst dich auf mich verlassen.«
Nach Kasims Blick zu urteilen, hatte er diesen Satz schon zu oft gehört, als dass er sich darüber noch ärgern konnte.
»Selbstverständlich«, sagte er dennoch nach kurzem Zögen. »Mit der Internetzeit schuldest du mir insgesamt dreihundertfünfzig Kronen.«
»Danke. Wäre es okay, wenn ich mich kurz noch mal an den Rechner setze? Ich muss ein paar Telefonnummern raussuchen.«
Die Anrufe waren niederschmetternd. Alle waren sie stocksauer, sowohl der Gemüse- und der Lebensmittelhändler als auch der Besitzer des Fahrradladens und der Mann, der dafür sorgte, dass Marco die Plakate bekam.
Zolas Leute waren bereits da gewesen und hatten jedem von ihnen gedroht, man würde ihre Geschäfte abfackeln, wenn sie nicht sofort ausspuckten, was sie über Marco wussten. Und so hatten sie erzählt. Trotzdem war die Theke des Lebensmittelhändlers zertrümmert und er selbst sogar tätlich angegriffenworden. In ihre Empörung mischte sich Misstrauen: Mit was für Leuten gab Marco sich ab, wenn er auf einmal Hals über Kopf untertauchen musste? War er womöglich selbst kriminell? Gehörte er vielleicht sogar der Mafia an?
Mit einem Schlag fühlte sich Marco wieder sehr einsam.
Resigniert wählte er als Letztes noch die Nummer des kranken Mädchens, die auf dem Suchplakat und auf ihrer Website stand. Nach wenigen Sekunden erklang eine kurze Tonfolge, und eine Frauenstimme sagte: »Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist nicht vergeben.«
Er hatte sich nicht verwählt, also gab es den Anschluss nicht mehr.
Fehlanzeige, auf der ganzen Linie.
Die Toreinfahrt schräg gegenüber dem Haus, in dem Kay und Eivind wohnten, war eine von denen, in die sich Jugendliche gern zum Rauchen oder zum Fummeln stellten. Massenweise Kippen lagen auf der Erde, und an der Mauer lehnten diverse herrenlose Fahrräder. Genau dort drückte sich Marco jetzt an die Wand und starrte angestrengt nach oben zu den dunklen Fenstern.
Er stand schon eine gefühlte Ewigkeit dort, mindestens eine Stunde, und wenn nötig, würde er auch noch weitere Stunden warten. Solange dort oben in der Wohnung kein Licht anging oder er nicht die Umrisse von Eivind oder Kay ausmachte, wagte er sich nicht auf die Straße.
Mehrmals steuerten jugendliche Paare sein Versteck an und beschimpften ihn, wenn sie merkten, dass er nicht die Absicht hatte, den Platz zu räumen.
Doch das nahm Marco kaum wahr. Er dachte nur an Eivind und Kay und an seine Sachen dort in der Wohnung und wie er wohl mit dieser Tilde in Kontakt kommen könnte, jetzt, wo er keine Telefonnummer mehr von ihr hatte. Denn wenn er nicht mehr über diese ganze Geschichte und die Verbindungzwischen William Stark, Zola und seinem Vater in Erfahrung brachte, brauchte er mit dem Vermisstenplakat gar nicht erst zur Polizei zu gehen.
Immerhin hatte er ihre Adresse. Vielleicht gab es ja noch jemanden in Starks Haus, mit dem er reden konnte.
Er hörte Eivinds schleppenden Gang,
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