Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Dinge, die den Verdächtigen vielleicht in ein etwas besseres Licht gerückt hätten. Oder die klarstellten, woher seine Einnahmen in den letzten Jahren stammten. Oder dass er die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Ganz zu schweigen von seiner Verbindung nach Kaliningrad. Die Kollegen, die die Ermittlungen damals leiteten, hatten in der fraglichen Zeit wohl ein bisschen zu viel um die Ohren, scheint mir. Die konnten kein langes Sonnenbad nehmen.«
Er war der Einzige, der über seinen Witz lachte. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Na, sollen wir die Tafel aufheben? Ich habe einiges, worum ich mich kümmern muss. Du, Rose, checkst wie gesagt die Container. Und Assad, du kannst schon mal nach oben ins Dezernat A gehen und Bericht erstatten. Ich glaube, wir sollten Marcus in den letzten Tagen, die er noch hier ist, verschonen. Aber erzähl Lars Bjørn doch bitte, dass es in einem alten Fall eine Entwicklung gibt, die zu etwas Kritik im Dezernat führen wird. Ich für meinen Teil habe von dem Fall jetzt übrigens genug.«
Er wollte gerade aufstehen, als Rose ihm das wellige, zerknitterte Blatt Papier vor die Nase hielt. Die Ränder hatten gelitten, und in der Mitte war es eingerissen, aber die Botschaft war eindeutig.
SUCHMELDUNG, stand dort.
Was zum Teufel scherte ihn das, eine Viertelstunde vor der spannendsten Begegnung des Tages?
Er griff nach dem Seidenbeutel in der Jackentasche, und gleich wurde ihm wärmer ums Herz. Und die Melodie ging ihm durch den Kopf.
Oh Mona, Mona, Mona – nun kommt der Taaag …
10
Marco war so aufgelöst, dass er die vielen gut gelaunten Menschen, die sich im hellen Sonnenlicht auf den Stegen zwischen den Schiffen bewegten, kaum wahrnahm.
Man hatte ihn entdeckt! Schlagartig war es vorbei mit seinem ruhigen Alltag, mit seinen Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft! Und nicht nur das: Der Blick eines Toten hatte ihn gebrandmarkt.
Im Grunde gab es nur einen Ausweg: Er musste schleunigst aus Kopenhagen verschwinden. Auf Dauer. Aber er wusste doch, dass Zolas Leute in null Komma nichts bei Eivind und Kay auf der Matte stehen würden – und man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was den beiden dann blühte. Nein, er konnte sie unmöglich ihrem Schicksal überlassen.
Marco ließ den Blick über die Segelmasten schweifen, versuchte, zur Ruhe zu kommen. Egal, wie gefährlich es für ihn war: Als Erstes musste er Eivind und Kay anrufen und warnen, und dann musste er zusehen, wie er an seine Sachen in der Wohnung kam, vor allem an seine Ersparnisse. Ohne sie würde er nicht weit kommen. Ohne sie wäre er um Monate zurückgeworfen.
Und er musste seine Arbeitgeber abklappern und das ihm noch zustehende Geld einfordern. Da war einiges zusammengekommen.
Marco betastete sein Gesicht. Der rothaarige Mann ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Was für eine entsetzliche Geschichte! Aber je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er trotz des geradezu irrwitzigen Risikos noch einmal zurückmusste zu der Suchmeldung an der Plakatsäule.Wenn er der Sache jetzt nicht genauer nachging, würde er nie verstehen, warum sein Vater …
Am S-Bahnhof Svanemøllen gab es noch ein Münztelefon. Mit geschlossenen Augen versuchte Marco, sich an die Nummer der Reinigung zu erinnern. Wie waren noch mal die letzten Ziffern? 386 oder 368 oder weder noch? So ein Mist, im Handy war die Nummer eingespeichert. Wenn doch nur Hector …
Erst beim fünften Versuch war er sich einigermaßen sicher. Das Freizeichen tönte regelmäßig wie ein Metronom, und dann sprang der Anrufbeantworter an.
»Sie sind verbunden mit Kayvinds Schnellreinigung«, hörte er Eivinds weiche Stimme. »Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Diese sind …«
Beunruhigt legte Marco auf. Warum waren sie nicht im Geschäft? Waren Zolas Leute etwa schon da gewesen? Oder waren die zwei einfach schon nach Hause gegangen? Nein, unmöglich, so früh machten sie nie Feierabend. Wie um Himmels willen sollte er sie denn jetzt warnen, er konnte sich ja nicht ihrer Wohnung nähern.
Da fiel ihm ein, warum die Reinigung geschlossen war. Es war ja Mittwoch! Kay hatte einen Arzttermin wegen seiner Blasenprobleme, und Eivind hatte versprochen, ihn zu begleiten. Nun erinnerte sich Marco auch, das Schild »Heute geschlossen« an der Glastür gesehen zu haben, als er vor ein paar Stunden am Geschäft vorbeigegangen war.
Er warf einen letzten wehmütigen Blick über das Wasser,
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