Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
heute Morgen sein Zuhause gewesen war. Blieb nur zu hoffen, dass Zolas Männer dort nicht schon alles durchwühlt hatten. Insofern war es eigentlich ein Glück, dass Kay und Eivind unterwegs waren.
Er sah sich kurz um, holte tief Luft, schloss die Augen und faltete die Hände. Lieber Gott, dachte er. Wenn sie kommen, sorg dafür, dass sie Kay und Eivind nichts tun. Und dass sie mein Geld nicht finden.
Um seinem Gebet mehr Nachdruck zu verleihen, wiederholte er die Worte. Seine Mutter hatte ihm einmal erzählt, Gott schätze das. Er öffnete die Augen und versuchte, Ruhe zu finden, aber das war schwer. Allein schon bei dem Gedanken, dass sie sein Erspartes hinter der Fußleiste finden könnten, wurde ihm eiskalt. An diesem Geld hing doch seine gesamte Zukunft.
Zwei Stunden später, Marco hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, fand er an einer Litfaßsäule am Strandvej, was er suchte: Dort klebten gleich zwei Vermisstenplakate.
Er löste sie ab, faltete sie und steckte sie sich unters Hemd. Seltsamerweise fühlte er sich erleichtert und beklommen zugleich: Er hatte sich die Informationen, die er haben wollte, beschafft. Aber es war, als hätte er damit zugleich eine Verantwortung übernommen, die schwer wog.
Er musste herausfinden, was dieser Mann mit seinem Vater und Zola zu schaffen gehabt hatte. So vieles hing von der Antwort auf diese Frage ab.
Wenn es ihm nur irgendwie gelänge, Zola die Polizei auf den Hals zu hetzen, ohne dass sein Vater dabei in Schwierigkeitenkäme. Aber was, wenn der zu tief mit drinhing, um ungeschoren davonzukommen?
Marco verschränkte die Arme vor der Brust. Diese Gedanken taten so weh. Er liebte seinen Vater doch. Aber er hasste ihn auch – für seine ewige Schwäche, für sein Zaudern, für sein ergebenes Ausharren in Zolas Schatten. Wie oft hatte er sich einen Vater gewünscht, mit dem ein ganz normales Leben möglich gewesen wäre. Ein Leben in der Familie. Nicht im Clan. Mit der Mutter, nicht mit Zola. Aber diese Hoffnungen hatte Marco längst aufgegeben.
Nein, er musste es darauf ankommen lassen.
Eigentlich hatte er vorgehabt, in der Bibliothek zu recherchieren, aber dann traute er sich doch nicht. Stattdessen ging er in Kasims Internetcafé, das im schäbigsten Teil der Nordre Frihavnsgade lag. Die Haltestelle Nordhavn war in der Nähe, dorthin könnte er notfalls durch den Hof flüchten. Er setzte sich in der hintersten Ecke an den Computer und googelte William Starks Namen.
Verblüfft registrierte er, wie Abertausende von Ergebnissen angezeigt wurden, und auch nachdem er die Suche auf die dänischsprachigen Seiten eingeschränkt hatte, blieben noch einige tausend Treffer übrig.
Die meisten der angezeigten Seiten lieferten textgleich dieselben Informationen, waren Kopien von anderen Seiten oder was auch immer. Und die durchgängige Botschaft war eindeutig. William Stark war jedenfalls kein armer Schlucker gewesen, kein Obdachloser, der plötzlich genug hatte vom Pennen auf der Straße im gammeligen Schlafsack. Er war kein vom Alkohol benebelter oder verwirrter Herumtreiber. William Stark war anscheinend ein ganz gewöhnlicher Mensch mit einem respektablen Job gewesen. Obwohl Marco nicht recht durchschaute, was genau er eigentlich gemacht hatte. In irgendeiner Form hatte er wohl für ein Ministerium gearbeitet. Jedenfalls war ergerade von einer Dienstreise nach Kamerun zurückgekehrt, bevor er verschwand. So viel war klar.
Marco blickte vom Bildschirm auf und betrachtete die Wände des Internetcafés, von denen die Farbe abblätterte. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Warum war dieser William Stark von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche verschwunden? Was steckte dahinter? Das Internet lieferte diesbezüglich nicht mal den Hauch eines Hinweises. Zumindest jedoch erfuhr Marco Starks Alter und dessen Adresse zum Zeitpunkt des Verschwindens. Und er erfuhr auch, dass der Vermisste erst nach Ablauf von fünf Jahren offiziell für tot erklärt werden konnte und dass er eine Freundin und Stieftochter hinterließ.
Bei www.krak.dk schlug Marco die Telefonnummer nach, die in der Suchmeldung angegeben war – ohne Ergebnis. Dann gab er die Nummer direkt in das Google-Suchfenster ein, ohne jedoch ernsthaft mit einem Treffer zu rechnen. Bei Handynummern wusste man ja, dass sie andauernd ausgetauscht wurden. Doch diesmal wurde er überraschend fündig: Die Nummer tauchte auf der Website eines Mädchens mit einer anscheinend äußerst schmerzhaften
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