Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
tauchte für einen Moment ein in die beruhigende Idylle aus dümpelnden Segelbooten, salziger Meeresbrise und Möwengeschrei. Dann machte er sich schweren Herzens auf den Weg.
Von dort, wo der Strandboulevard die Østerbrogade kreuzte, waren es auf direktem Weg nur etwa sechshundert Meter bis zum Gunnar Nu Hansens Plads. Und obwohl Marco weder auf dem Gehweg noch auf der Straße irgendetwas Ungewöhnlichesauffiel, entschied er sich für den Umweg über den Jagtvej und durch den Fælledpark. Dort würde ihm das Frühlingsgrün der Bäume und Büsche Schutz bieten.
Für die wenigen hundert Meter brauchte er fast eine halbe Stunde. Überall zwischen den Bäumen hatten sich Menschen in der Sonne niedergelassen und ihre Kleider abgelegt – wer sagte ihm, dass sich nicht ein paar von Zolas Handlangern daruntergemischt hatten? Sich auszuziehen wie alle anderen, das wäre doch die perfekte Tarnung. Schwertun würden sich die Männer damit jedenfalls nicht – in Zolas Umfeld war es immer schon extrem freizügig zugegangen.
Mit Argusaugen beobachtete Marco den Gunnar Nu Hansens Plads, dem er sich von der Seite näherte. Was für ein Gewimmel von Menschen und Farben! Und jeden Moment konnte irgendeiner dieser Farbkleckse herumschnellen und auf ihn zustürzen, konnte sich einer dieser Rücken an einem der Cafétische plötzlich als Hectors breites Kreuz entpuppen. Es war so unglaublich viel, was er im Auge behalten musste. Alle Cafétische waren besetzt, und selbst noch auf dem Boden hatten sich junge Menschen im Kreis niedergelassen.
Zu seiner Überraschung stand die Leiter immer noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Auch den Kleistereimer samt Zubehör erspähte er hinter dem Denkmal. Hatte Hector die Sachen extra dort stehen lassen – als eine Art Köder für ihn?
Wenn Marco jetzt auf den Platz trat, würde Hector dann mit einem Satz aus der Deckung stürzen? Waren inzwischen schon andere Clanmitglieder ausgeschwärmt? Sollte Marco um Hilfe schreien, wenn sie ihn zu fassen bekamen?
Aber wahrscheinlich würde überhaupt kein Passant reagieren. Die Dänen hielten sich lieber zurück, wenn es darauf ankam, das wusste er aus Erfahrung. Wie oft hätte er selbst damals aufgehalten werden können, wenn die Hilferufe der Überfallenen durch die Straßen hallten? Doch dergleichen warnie passiert. Damals hatte ihm diese Passivität Sicherheit verliehen, heute machte sie ihn nervös.
Vorsichtig näherte sich Marco der Litfaßsäule – und blieb kurz davor wie vom Donner gerührt stehen: Die Suchmeldung war weg! Und sein Spachtel lag auf der Erde.
Seine Gedanken rasten. Hatte Hector gesehen, wie er sie anstarrte? Ja, wahrscheinlich hatte Hector das Plakat abgerissen, um es Zola zu zeigen und ihm brühwarm zu erzählen, dass Marco sich sehr dafür interessiert hatte.
Aber sofort verwarf er den Gedanken. Vermutlich war Hector gar nicht über den Toten informiert. Außerdem war er viel zu dumm. In seiner Beschränktheit war ihm das Plakat bestimmt nicht mal aufgefallen.
Marco starrte auf die Stelle, wo es geklebt hatte. Verdammt! Die Informationen darauf hätte er brauchen können.
»Hallo!«, rief jemand hinter ihm.
Marco zuckte zusammen, war schon auf dem Sprung.
»He, du da. Ich hab mir bloß eins von den Plakaten genommen, die du abgekratzt und auf den Boden geschmissen hast. Ich hoffe, das ist okay, sonst lege ich es wieder hin. Aber meine Schwester war bei dem Konzert, und da wollte ich ihr …« Der Typ hielt das Plakat hoch, und alle Mädchen, die mit ihm im Kreis auf dem Boden saßen, kicherten.
Erleichtert atmete Marco auf. Es war ein Plakat vom gestrigen Sade-Konzert im Forum. Er nickte kurz und zog die Leiter zu sich heran. Ihm brannte der Boden unter den Füßen, schon viel zu lange hatte er hier rumgestanden. Er hatte ein ungutes Gefühl, als er seine Utensilien schulterte, aber er wagte es auch nicht, sie einfach stehen zu lassen.
Wenn ich mich beeile, dachte er, kann ich die Strecke vielleicht noch mal ablaufen und schauen, ob die Suchmeldung noch woanders hängt.
Anschließend würde er zum Verteilerzentrum gehen und sein Geld holen und dann die Runde bei seinen Arbeitgebernim Viertel machen. Die dürften auf keinen Fall sagen, dass sie ihn kannten, falls Zolas Leute bei ihnen auftauchten. Das musste er ihnen irgendwie klarmachen.
Und danach würde er versuchen, etwas über diesen William Stark herauszufinden.
Am Abend dann würde er probieren, sich irgendwie in die Wohnung zu schleichen, die bis
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