Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Er wird doch nicht riskieren wollen, sich von den Millionen verabschieden zu müssen, die via Q in den Etat eures Dezernats fließen, oder? Abgesehen davon hat er keinen blassen Schimmer, worauf dieser Fall hinausläuft, glaub’s mir.«
Der Chef der Mordkommission legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Ob er Kopfschmerzen hatte? Carl hatte ihn noch nie so distanziert erlebt.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, antwortete er mit matter Stimme. »Aber Lars Bjørn könnte ohne Weiteres auf die Idee kommen, dein Sonderdezernat jemand anderem zu übertragen, Carl. Du hast das Sonderdezernat Q aufgebaut, aber der Architekt war Lars Bjørn, nicht ich. Also knall mal besser nicht so mit den Türen.«
»Der Mann des Opfers steht oben in der Wache, Carl. Er ist Tiefbohrfacharbeiter auf einer Bohrinsel und derzeit gerade auf dem Festland, da hatten wir Glück.«
Carl nickte. »Tiefbohrfacharbeiter?« Gar nicht so schlecht. Solche Männer waren es gewohnt, bei Gegenwind die Zähnezusammenzubeißen und die Dinge zu nehmen, wie sie kamen. Deshalb waren ihre Geheimnisse auch nicht so furchtbar schwer zu knacken.
Erwartet hatte Carl einen Kerl mit Händen wie Schraubstöcke und den Schultern eines Quarterbacks, aber damit lag er komplett daneben. Im Grunde sah der Exgatte Sverre Anweiler sogar ähnlich. Das Brandopfer hatte offenbar ein Faible gehabt für diesen Typ Mann.
Neben Assad wirkte er klein – und fast so, als würde er von einem inneren Vakuum zusammengezogen. Der Brustkorb sah aus wie eingesogen, die Schultern waren die eines Schuljungen. Stahlhart war nichts an dem Mann, Stahl sah man nur in den Augen – den Willen, das Erforderliche zu tun. Ein Mann von echtem Schrot und Korn.
»In was für ein verdammtes Loch bringen Sie mich denn hier? Sieht ja aus wie ein Folterkeller.« Er lachte hohl. »In Dänemark darf man das nicht, ich hoffe, das wissen Sie.« Er streckte die Hand aus. Seine Hände mochten nicht so groß sein wie erwartet, aber der Handschlag, mit dem er sie begrüßte, hatte es in sich. »Ralf Virklund, Minnas Ehemann. Sie wollten mit mir sprechen?«
Carl bat ihn, Platz zu nehmen. »Der Fall des Hausbootbrandes, bei dem Ihre Frau ums Leben kam, wurde meinem Assistenten und mir übertragen. Wir haben uns bereits intensiv damit befasst, meinen aber, dass es noch offene Fragen gibt.«
Ralf Virklund nickte. Er schien zur Zusammenarbeit bereit zu sein. Falls er nervös war, verbarg er das sehr gut.
»Laut Akte hat Ihre Frau Sie unmittelbar vor dem fatalen Ereignis verlassen. Sie hat Ihnen geschrieben, sie hätte einen anderen. Können Sie dazu etwas sagen?«
Er nickte, sah sie aber nicht an, so als wäre es ihm peinlich. »Man kann es ihr nicht verdenken. Fänden Sie es erfüllend, das Bett mit jemandem zu teilen, der nur ein paar Monate im Jahr zu Hause ist?«
Touché! Herr im Himmel, was sollte Carl darauf antworten? Dass ein paar Monate im Jahr mit Mona Weltrekord bedeuten würden? Oh verdammt, warum musste ihm das jetzt einfallen.
»Oh, das Problem ist heutzutage wohl leider ziemlich verbreitet«, preschte Assad vor und lächelte übertrieben herzlich. Aha, dann veranstalteten sie hier offenbar ein Good-Cop-Bad-Cop-Verhör, und er, Carl, hatte die Rolle des Bösen. Passte ihm prima, dann konnte er ja gleich loslegen.
Er lehnte sich über den Tisch. »Wissen Sie was, Ralf Virklund? Den Scheiß können Sie sich sparen, klar? Oder finden Sie es plausibel, dass sich Ihre Frau stattdessen einen Typen nahm, der genauso viel unterwegs war?«
Ralf Virklund sah ihn verständnislos an. »Kommen Sie mir jetzt auch damit? Ich hab der Polizei doch schon mehrfach erklärt, dass Minna den Mann überhaupt nicht kannte! Sie hat sein Hausboot gekauft, Punkt, aus, fertig! Nichts sonst!«
Carl sah Assad an. Der saß gleichmütig da und nickte welterfahren, aber auch ein bisschen zerstreut, wie irgend so ein Nomade, den man eben um Rat gefragt hatte, wo man am besten Schutz vor der Wüstensonne fand. Was war denn mit dem los?
»Hören Sie, Virklund. Was Sie da sagen, steht nirgendwo«, fuhr Carl fort. »Und da solche Aussagen festgehalten werden müssen, glaube ich, ehrlich gesagt, auch nicht, dass Sie die gemacht haben.«
»Mit Sicherheit habe ich die gemacht. Und ich hab auch gesagt, dass ich keine Ahnung von dem Brand auf dem Hausboot hatte und davon, dass Minna darin umgekommen war, bevor die Bullen kamen und es mir gesagt haben. In den verdammten Papieren wird doch wohl irgendwo stehen,
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