Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
kontrollierte, plötzlich auf William Stark selbst als Strippenzieher hindeuteten … und auf Teis Snap.
Insofern war es nur logisch, dass er jetzt das letzte Blatt Papier aus der Mappe nahm und in William Starks charakteristischer Schrift in die Ecke schrieb: »Überweisung an Maduro & Curiels Bank« – und dazu Teis Snaps Handynummer.
17
Schon wieder hatte er die Nacht unter freiem Himmel verbringen müssen. Langsam schienen die Grautöne der Straße auf Marco abzufärben.
Kasim, der Besitzer des Internetcafés, hatte ihn gewarnt. Als er in seinem glänzenden BMW die Randersgade hinunterfuhr, hatte er Marco entdeckt, wie der gerade die Abfallcontainer des Lebensmittelladens nach Essbarem durchsuchte. Bei den kleineren Geschäften machte das mehr Sinn als bei den großen Supermarktketten, denn dort bedienten sich junge Dänen aus Zweckwohngemeinschaften, die knapp bei Kasse waren und kaum bereit zu teilen. Am untersten Ende der Gesellschaft herrschte harter Konkurrenzkampf.
»Das ganze Pack sucht nach dir, Marco«, rief Kasim aus dem Seitenfenster. »Halt die Augen offen, wenn du hier im Viertel unterwegs bist. Mach lieber, dass du wegkommst.«
Sie hatten also noch nicht aufgegeben. Marco konnte nicht glauben, dass sie ihm wirklich auch hier in Østerbro auflauerten. Aber was sollte er tun? In Eivinds und Kays Wohnung lagen noch mehrere Tausend Kronen von ihm, und bis er die nicht hatte, konnte er nicht verschwinden.
Er war inzwischen mehrfach an ihrer Wohnung und an der Reinigung vorbeigegangen. Die Fenster der Wohnung waren hell erleuchtet gewesen, an der Tür der Reinigung hing nach wie vor das Schild »krankheitshalber geschlossen«.
Kay war also noch nicht über den Berg. Aber wenn er wieder gesund war und die Arbeit aufgenommen hatte, musste sich Marco Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen. Vielleicht konnte er sich bis dahin auch wieder einigermaßen frei auf der Straßebewegen. Noch eine Woche, schätzte er, würden Zolas Leute nach ihm suchen, dann würden sie hoffentlich aufgeben, im Glauben, er hätte Kopenhagen verlassen.
So lange hielt er sich von Menschenmengen fern, achtete auf jähe, unerwartete Bewegungen, auf Autos mit ausländischen Kennzeichen und getönten Scheiben und auf fremdländisch aussehende Männer, die sich allein oder zu zweit durch den Stadtteil bewegten.
Alles wirkte völlig normal an diesem Samstagmorgen. Die Menschen in Østerbro bereiteten sich auf ein entspanntes Frühlingswochenende vor.
Marco war wie jeden Tag an der Reinigung vorbeigeschlichen, wie stets auf der anderen Straßenseite und eng an den Häuserwänden entlang. Noch immer geschlossen.
An der Willemoesgade postierte er sich im Souterrain-Eingang eines Eckgeschäfts, das dichtgemacht hatte. Zum x-ten Mal ging er in Gedanken durch, wie sich alles entwickelt hatte. Wenn Kay und Eivind ihm geholfen hätten, statt ihn vor die Tür zu setzen, dann hätte er jetzt ein schlechtes Gewissen wegen Kay. Aber sie hatten ihm nicht geholfen. Er verstand ja, dass sie Angst bekommen hatten und dass sie ihn nach dem, was geschehen war, nicht mehr bei sich wohnen lassen konnten. Aber wer war denn bei ihnen eingebrochen? Wer hatte sie überfallen? Doch nicht er! Und überhaupt: War er denn aus freien Stücken Zolas Sklave gewesen? Hatte er sich etwa freiwillig einen Vater ausgesucht, der bereit war, seinen Sohn zu opfern, um nicht in Konflikt mit seinem Bruder zu geraten? Hatte er selbst etwa jemals getötet?
Marco hob den Kopf und straffte die Schultern. Nein, er brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben. Und er brauchte sich auch nicht zu schämen, dazu gab es keinen Grund. Er hatte zwar kein Geld in der Tasche, und es war durchaus möglich, dass er inzwischen etwas streng roch, aber er war frei. Er stahlnicht mehr, und er bestimmte selbst darüber, wer er war und was aus ihm werden sollte. Im Augenblick war er noch ein »Zigeuner«, aber sobald das alles hier überstanden war, würde er nur noch er selbst sein.
Er sah zu dem Haus auf der anderen Straßenseite hinüber und bemerkte in der Parterrewohnung ein blasses Gesicht, das sich eilig hinter die Gardine zurückzog. Irgendetwas stimmt da nicht, durchschoss es ihn, und im selben Moment bretterte ein gelber Lieferwagen, den er nur allzu gut kannte, aus der Fiskedamsgade um die Ecke und raste auf ihn zu.
Sekundenbruchteile später registrierte er, wie sich ein weiteres Auto aus Richtung Østerbrogade näherte. Er saß in der Falle.
Als er Hector am Steuer des
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